Die türkische Polizei ist am Mittwoch gewaltsam gegen Demonstranten vorgegangen, die zum Gedenken an ein junges Opfer der Gezi-Unruhen auf die Strasse gegangen waren. In Istanbul, Ankara und Izmir löste die Polizei laut örtlichen Medien Protestveranstaltungen auf.
Auf dem Istanbuler Taksim-Platz ging die Polizei am Mittwoch etwa gegen eine Gruppe Demonstranten vor, die zum Gedenken an ein junges Opfer der Gezi-Unruhen auf die Strasse gegangen waren. Sie hielten sich an den Händen und hatten ein Banner mit der Aufschrift «Berkin ist hier» bei sich. Indem sie eng beieinander blieben, versuchten sie, die Festnahmen durch die Beamten in Zivil zu verhindern. Anschliessend wurden sie abgeführt, es gab zehn Festnahmen, wie der Sender CNN-Türk berichtete.
In Ankara setzte die Polizei Wasserwerfer gegen Demonstranten ein, elf Menschen wurden festgenommen, wie örtliche Medien berichteten. Auch im westtürkischen Izmir wurde demnach eine Demonstration beendet.
Weitere Protestveranstaltungen sollten noch im Tagesverlauf im ganzen Land stattfinden. Wie der Fernsehsender IMC meldete, waren rund zwei Dutzend Gedenkveranstaltungen für den Teenager Berkin Elvan geplant.
Untersuchungen stehen still
In einem Appell an die Politiker des Landes kritisierte der Intellektuellen-Verband «Sanat Meclisi», dass die Verantwortlichen für den Tod des 15-jährigen Elvan am 11. März 2014 noch nicht ermittelt worden sind. Der Junge ist zu einer Symbolfigur für die Opfer von Polizeigewalt geworden.
Nach Angaben der Anwältin der Hinterbliebenen, Aycan Cicek, stehen die Untersuchungen des Vorfalls still. Der Tagezeitung «Evrensel» sagte Cicek, die Behörden weigerten sich, die Namen der damals diensthabenden Polizisten herauszugeben. Daher könne keine Anklage erhoben werden.
Berkin Elvan war im Jahr 2013 während der Gezi-Unruhen in Istanbul von einer Tränengaskartusche der Polizei am Kopf getroffen worden und hatte mehrere Monate im Koma gelegen. Nach seinem Tod vor einem Jahr nahmen Hunderttausende Menschen an seiner Beisetzung teil.
Erdogan verteidigt Polizeivorgehen
Präsident Recep Tayyip Erdogan bezeichnete den Teenager als Mitglied einer Terrororganisation, der mit einer Steinschleuder bewaffnet gewesen sei. Elvans Eltern sagen dagegen, der Junge sei unterwegs gewesen, um Brot zu kaufen, als er getroffen wurde.
Insgesamt wurden während der wochenlangen Gezi-Proteste, die sich an einem Bauprojekt der Regierung im kleinen Istanbuler Gezi-Park entzündet hatten, mindestens acht Menschen getötet. Regierungskritiker werfen den Behörden vor, gewalttätige Polizisten vor der Strafverfolgung zu schützen.
Erdogan hatte der wegen ihres extrem harten Vorgehens im In- und Ausland kritisierten türkischen Polizei bescheinigt, mit ihrem Vorgehen während der Gezi-Unruhen ein «Heldenepos» geschrieben zu haben. Das Parlament prüft derzeit ein Gesetzesvorhaben, das der Polizei bei Demonstrationen noch mehr Handlungsspielraum geben soll.