Zwei Monate nach Beginn der Korruptionsaffäre in der Türkei hat die Regierung die Kontrolle über die Justiz verschärft. Das Parlament in Ankara nahm nach einer turbulenten nächtlichen Debatte ein umstrittenes Gesetz an.
Das Gesetz gibt dem Justizministerium mehr Einfluss auf die Ernennung hochrangiger Justizbeamter. Die Opposition sieht darin den Versuch, die laufenden Korruptionsermittlungen gegen Gefolgsleute der Regierung zu stoppen.
Bei der 20-stündigen Debatte im Parlament gab es wiederholt Handgreiflichkeiten zwischen Abgeordneten von Regierung und Opposition.
Ali Ihsan Kokturk von der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP) trug eine blutige Nase davon, Bayram Ozcelik von der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan wurde ein Finger gebrochen. Letztlich wurde das Gesetz mit 210 Ja- und 28 Nein-Stimmen angenommen.
«Der Ministerpräsident will der grosse Meister des Landes werden. Er versucht, die Justiz so umzubauen, dass sie nach seinem Willen entscheidet», sagte der CHP-Abgeordnete Akif Hamzacebi. Ozcan Yeniceri von der nationalistischen MHP kritisierte: «Dieser Text erfüllt die Bedürfnisse der AKP.» Die Regierungspartei wolle den Hohen Richterrat (HYSK) unter ihre Kontrolle stellen.
Bisher unabhängiges Gremium
Der HYSK ist ein bisher unabhängiges Justizkontrollgremium, das für die Ernennung von Richtern und Staatsanwälten zuständig ist. Mit dem Gesetz erhält der Justizminister das Recht, Ermittlungen gegen die HYSK-Mitglieder einzuleiten. Zudem wird die Zusammensetzung des Gremiums verändert. Der CHP-Abgeordnete Riza Turman kündigte an, vor dem Verfassungsgericht gegen das Gesetz vorzugehen, da es gegen die Verfassung verstosse.
Die Opposition kritisiert das im Januar eingebrachte Gesetz als Versuch der Regierung, die laufenden Justizermittlungen gegen Geschäftsleute und Politiker aus ihrem Umfeld zu ersticken. Auch international stiess die Gesetzesinitiative, die nach Ansicht der Kritiker die Unabhängigkeit der Justiz in dem EU-Beitrittskandidaten bedroht, auf Besorgnis.
Präsident Abdullah Gül hatte im Januar vorgeschlagen, die Reform in die Verfassung zu schreiben. Damit wäre ein überparteilicher Kompromiss notwendig gewesen. Opposition und Regierung konnten sich jedoch nicht darauf einigen.
Damit das Gesetz in Kraft tritt, muss Gül es nun unterzeichnen. Ihm liegt bereits ein ebenfalls hochgradig umstrittenes Gesetz zur stärkeren Kontrolle des Internets vor, das vergangene Woche vom Parlament verabschiedet worden war.
Korruptionsaffäre mit weitreichenden Folgen
Die Türkei wird seit Mitte Dezember von einer Korruptionsaffäre erschüttert, in deren Zuge Dutzende Geschäftsleute und Politiker aus dem Umfeld der AKP festgenommen wurden. In der Folge legten vier Minister ihr Amt nieder, zahlreiche AKP-Abgeordnete verliessen aus Protest die Partei.
Erdogan bezeichnet die Ermittlungen aber als ausländische Verschwörung, um seine Regierung zu stürzen, und liess tausende Polizisten, Richter und Staatsanwälte versetzen oder ihrer Posten entheben.
Bei der Affäre geht es um Vorwürfe der Bestechung von Politikern, um illegale Goldgeschäfte der staatlichen Halkbank mit dem Iran zu verdecken und Baugenehmigungen zu erwirken. Hinter der Auseinandersetzung steckt ein Machtkampf zwischen der islamisch-konservativen AKP und der Bewegung des im US-Exil lebenden islamischen Predigers Fethullah Gülen, der insbesondere in Justiz und Polizei über zahlreiche Anhänger verfügen soll.