Zehn Monate nach dem Sturz des Präsidenten Zine al-Abidine Ben Ali ist am Dienstag in Tunesien die Ende Oktober gewählte verfassunggebende Versammlung erstmals zusammengetreten. Die Delegierten sollen eine Verfassung ausarbeiten und Parlamentswahlen vorbereiten.
Zum Auftakt ihrer Arbeit wählten die 217 Mitglieder am Dienstag Mustapha Ben Jaafar von der sozialistischen Ettakatol zum Vorsitzenden des Gremiums. Jaafar erhielt 145 Stimmen, seine Mitbewerberin Maya Jribi von der Mitte-Links-Partei PDP kam auf 68 Stimmen.
In den kommenden Tagen sollen die Abgeordneten die restlichen Personalvereinbarungen der drei koalierenden Parteien bestätigen. So soll Moncef Marzouki vom linksnationalen Kongress für die Republik (CPR) Staatspräsident und Hamadi Jebali von der gemässigt islamistischen Ennahda-Partei Regierungschef werden.
Auf diese Personalien hatten sich die drei Parteien vorab geeinigt. Die Ennahda war bei der Wahl zu dem Gremium am 23. Oktober mit 89 Vertretern stärkste Kraft geworden. Die CPR erhielt 29 und die Ettakatol 20 Mandate.
Proteste für Beibehaltung der Frauenrechte
Vor dem Versammlungsgebäude in einem Vorort der tunesischen Hauptstadt Tunis kamen am Dienstag 1000 Menschen zu einer Demonstration zusammen. Viele von ihnen forderten die Garantie von Frauenrechten in der neuen Verfassung, für deren Erarbeitung die Versammlung zuständig ist.
Unter dem gestürzten Diktator Zine al-Abidine Ben Ali hatte das Land einige der fortschrittlichsten Frauenrechte in der arabischen Welt. Einige Tunesier befürchten, dieser Status könnte unter der Regierung einer islamistischen Partei abhandenkommen. Die Ennahda und ihre Koalitionspartner haben versprochen, die Frauenrechte zu erhalten.
Politikerin ausbuht
Eine neu ins Amt gewählte Ennahda-Politikerin, Souad Abderrahim, wurde am Dienstag von Demonstranten ausgebuht, die ihren Rücktritt forderten. Die Politikerin, die kein Kopftuch trägt, war in die Kritik geraten, nachdem sie alleinerziehende Mütter als „Schande“ bezeichnet hatte.
Die Ennahda präsentiert sich derzeit als moderne Partei nach dem Vorbild der türkischen AKP. Unter dem im Januar gestürzten Langzeitherrscher Ben Ali galt sie als extremistisch und war verboten.