Das Unabhängigkeitsvotum Schottlands wird zur Zitterpartie. Zehn Tage vor dem Referendum liegen die Befürworter der Unabhängigkeit erstmals in einer Umfrage vorn. Die britische Regierung versucht nun offenbar in letzter Minute Gegensteuer zu geben.
In der Untersuchung des Instituts YouGov für die Zeitung «Sunday Times» sprachen sich 51 Prozent der befragten schottischen Stimmberechtigten für die Abspaltung von Grossbritannien aus, 49 Prozent waren dagegen. Die unentschiedenen Stimmen wurden nicht mitberechnet.
Zwar blieben in einer ebenfalls am Sonntag veröffentlichten Umfrage die Gegner knapp in Führung, doch ist der Ausgang des Referendums so offen wie nie. Vor einem Monat lag das Lager der Pro-Briten noch 22 Prozentpunkte in Führung.
Cameron bei der Queen
Für den britischen Premierminister David Cameron wäre ein Ja der Schotten zu ihrer Unabhängigkeit ein schwerer Schlag. Nach einem Bericht der «Sunday Times» sieht er sich wachsendem Druck ausgesetzt, in dem Fall sein Amt zur Verfügung zu stellen.
Camerons Labour-Vorgänger Gordon Brown, ein Schotte, machte in einem Artikel für den «Sunday Mirror» die Politik der Konservativen für die schrumpfende Unterstützung der Schotten für die Einheit verantwortlich. Diese hielten die regierenden Tories von Cameron für elitär und an den Problemen Schottlands wenig interessiert.
Cameron wollte am Sonntag ins schottische Balmoral reisen, wo sich am Wochenende Königin Elizabeth II. in ihrer Sommerresidenz aufhielt. Nach Informationen der «Sunday Times» sorgt sich die Queen sehr über den Ausgang des Referendums und will täglich über die Stimmung auf dem Laufenden gehalten werden.
Der schottische Regierungschef und Unabhängigkeitsbefürworter Alex Salmond will zwar, dass die Monarchin auch an der Spitze eines unabhängigen Schottlands steht, doch nach Angaben eines Beraters «versteht sich das nicht von selbst»: «Die Queen ist eine Unionistin», sagte er der «Sunday Times».
London verspricht Schottland mehr Kompetenzen
Der «Observer» berichtete unterdessen, dass London noch in den nächsten Tagen neue Zugeständnisse machen könnte, um die Schotten zum Verbleib in Grossbritannien zu bewegen. Demnach verständigten sich die grossen britischen Parteien nach intensiven Gesprächen darauf, den Schotten eine Umwandlung Grossbritanniens in eine Föderation anzubieten.
Falls die Schotten gegen den Austritt aus dem Vereinigten Königreich stimmen, sollten sie mehr Rechte bei Entscheidungen zu Steuern, Ausgaben und Sozialhilfe erhalten, umriss Finanzminister George Osborne dem Fernsehsender BBC das Angebot.
Pfund, EU und Öl
Die Volksabstimmung über Schottlands Unabhängigkeit findet am 18. September statt. Die britische Regierung warnt unter anderem davor, dass Schottland im Fall einer Loslösung das Pfund nicht behalten könne.
Dies hätte wohl tiefgreifende Auswirkungen auf die schottische Wirtschaft. Die Befürworter der Unabhängigkeit sind für die Beibehaltung der britischen Währung.
Eine weiterer wichtiger Streitpunkt in der Debatte ist die Frage, ob Schottland als eigenständiger Staat automatisch Mitglied der Europäischen Union bleibt.
Die schottischen Nationalisten werfen der britischen Regierung insbesondere vor, den Reichtum des Landes zu verschwenden: Statt in die armen Regionen Schottlands, flössen die Einnahmen aus den schottischen Ölvorkommen vor allem nach London.