Schweizer Curler gelten als Garanten für Edelmetall. Doch der Platz an der Weltspitze scheint vor der WM in Basel gefährdet. Darüber, wie künftige Erfolge ermöglicht werden sollen, herrscht Uneinigkeit.
Manchmal ist ein Umsturz die einzige Chance, die Revolution aufzuhalten. Wohl in diesem Sinne handelten die Schweizer Curler, als sie sich gegen Beat Jäggi stellten. In die elf Jahre, in denen Jäggi Chef Leistungssport bei Swisscurling gewesen war, fielen zwar 33 Medaillen an Grossveranstaltungen. Doch die Ideen, mit denen er die Schweiz an der Weltspitze halten wollte, waren den Aktiven zu radikal. Also musste Jäggi gehen.
Jäggi hatte in einer Sportart, in der auch Schweizer Spitzenspieler Amateure sind, ein vom Nationaltrainer ausgewähltes Nationalteam bilden wollen. Dieses hätte im Winter unter professionellen Bedingungen trainiert. Aber das war für viele Aktive zu viel Bevormundung. Und sie setzten sich durch. Obwohl Jäggis Konzept vom Verband Swisscurling und von Swiss Olympic abgesegnet worden war.
Auf der Homepage des Curlingverbandes ist das Papier noch immer abrufbar. Doch seit dem Sommer 2011 ist es Makulatur. Und inzwischen gibt es ein brandneues Projekt. Dieses wurde von Nationalcoach Andreas Schwaller erarbeitet, bislang aber noch nicht öffentlich vorgestellt.
Nationalkader statt Nationalteam
Auch hier wird es ein sogenanntes Nationalkader geben. Der Unterschied zu Jäggis Vorschlag: Es ist nicht der Nationaltrainer, der ein Team zusammenstellt. Denn genau daran ist Jäggis Projekt gescheitert. Kaum jemand ausser ihm glaubt in der Schweiz daran, dass ein Nationalteam funktionieren würde. «Schottland hat es versucht – aber ohne Erfolg», sagt Armin Harder, der heutige Chef Departement Leistungssport bei Swisscurling, «dabei wurde an der Basis viel zerstört.»
Im Gegensatz zu Jäggi, der sich auf die Spitze konzentrieren wollte, möchte sich Harder breiter abstützen: «Was passiert denn, wenn die Spieler des Nationalteams zurücktreten würden? Dann hätten wir ein Problem, weil niemand die entstehende Lücke ausfüllen könnte.»
Entsprechend werden bei Schwallers Projekt je drei bestehende Männer- und Frauen-Teams anhand einer Rangliste integral ins Nationalkader aufgenommen. Für diese Wertung werden Punkte nicht nur für Erfolge an Schweizer Meisterschaften und WM- und EM-Endrunden vergeben, sondern auch für gute Resultate an internationalen Turnieren. Ende Saison wird die Rangliste darüber entscheiden, wer im Kader sein darf.
Zwang, international zu spielen
Mitglieder des Nationalkaders werden unterstützt. Mit Grundpauschale und resultatabhängigen Prämien könnten so 20’000 bis 25’000 Franken pro Team und Saison zusammenkommen, rechnet Schwaller vor. Dazu kommt die Unterstützung durch Verbandstrainer und Physiotherapeuten.
«Sinn und Zweck ist», sagt Schwaller, «dass unsere Teams an internationale Turniere reisen müssen.» Vor allem Wettkämpfe in Kanada, der Nation mit den meisten Curlern, sollen die Schweizer weiterbringen.
Denn in einem sind sich alle einig: Damit die Schweiz ihren Platz an der Weltspitze halten kann, sind neue Anstrengungen nötig. An den Europameisterschaften im Dezember schnitten die Schweizer mit den Rängen sechs bei den Männern und sieben bei den Frauen so schlecht ab wie noch nie.
Strittig ist nur die Frage, welcher Weg eingeschlagen werden soll. Für Jäggi steht fest, dass die Spitzenteams im Winter als Profis zu leben haben: «Die Besten müssen sich zwingend täglich mit Curling befassen, um vorne dabei zu sein.»
Nicht unglücklich, kein Profi zu sein
Jan Hauser würde das nur bedingt unterschreiben. Der 27-Jährige ist Skip jenes Teams, das die Schweiz an der Weltmeisterschaft in Basel vertreten wird. Er trainierte ein halbes Jahr vor den Olympischen Spielen 2010 praktisch als Profi. Doch obwohl er damals mit dem Team von Ralph Stöckli Bronze gewann, wirkt er nicht unglücklich, dass er auch unmittelbar vor der WM in seinem bürgerlichen Beruf arbeiten muss – oder eben darf. 50 bis 80 Prozent würden die Mitglieder seines Teams während der WM-Vorbereitung noch arbeiten, sagt Hauser. Und ergänzt: «Curling ist eine Sportart, die einen Ausgleich braucht.»
Er glaubt nicht, dass es möglich sein wird, längerfristig als Curling-Profi zu leben. «Ich möchte schon. Aber es sind immer vier in einem Team. Und sobald einer Familie und vielleicht ein Haus hat, wird es finanziell schwierig.»
Armin Harder schlägt in dieselbe Kerbe, wenn er sagt: «Curling ist ein Amateursport.» Die Spieler investierten eigenes Geld, um ihren Sport auszuüben. «Professionalisieren klingt gut. Aber dann muss man die Sportler auch bezahlen können.»
300’000 Franken vom Bund
Jäggi allerdings glaubt an eine solche Finanzierung: «Ein professioneller Rahmen wäre möglich.» Er rechnet vor, Swisscurling habe 1999 rund 60 000 bis 80 000 Franken von Swiss Olympic erhalten. Bis in die Gegenwart habe sich diese Zahl verzehnfacht. Dazu kommen Zuwendungen des Bundesamtes für Sport (Baspo). Dieses hat zum Beispiel 2011 und 2012 je 150’000 Franken gesprochen, um den Schweizern eine ideale Vorbereitung auf die Heim-WM in Basel zu ermöglichen. Interessant in diesem Zusammenhang: Der Schweizer WM-Vertreter steht erst seit dem 25. Februar 2012 fest.
Verdient haben sich die Curler diese Zuwendungen mit Spitzenresultaten an internationalen Titelkämpfen. Seit Curling 1998 erstmals olympisch war, hat die Schweiz fünf Medaillen errungen. Entsprechend gehört Curling zu den 15 von Swiss Olympic höchstbewerteten Sportarten, die am meisten Fördergelder erhalten.
Das bedeutet allerdings auch, dass die Schweizer Curler zum Erfolg verdammt sind, wollen sie ihre Pfründe erhalten. Denn andere grosse Geldgeber fehlen. «Swiss Olympic und das Baspo sind unsere grössten Sponsoren», gibt Harder unumwunden zu.
Mehr einheimische Coaches
Während Jäggi ganz auf die Spitzenspieler setzen wollte, hat Harder andere Ideen, um auch in Zukunft Schweizer Erfolge zu ermöglichen. Er will mehr einheimische Coaches ausbilden: «Wir müssen die jungen Spieler sich entwickeln lassen. Aber 80 Prozent der Teams, die an den Schweizer Meisterschaften starten, haben keinen Coach. Das ist kein Zustand.»
Harder wird seine Ideen umsetzen können. Jäggi dagegen erlebt das Curling nur noch als Beobachter, ohne deswegen verbittert zu sein: «Ich wollte tun, was ich für nötig gehalten habe. Aber viele Wege führen nach Rom.»
Wobei es für die Schweizer Curlerinnen und Curler wichtiger wäre, sie fänden zunächst den Weg nach Sotschi. An den Weltmeisterschaften 2012 und 2013 entscheidet sich, wer 2014 an die Olympischen Spiele reisen darf. Bei den Frauen und den Männern haben nur die je sieben besten Nationen einen Olympia-Startplatz auf sicher.
Die Männer-WM in Basel
Es brauchte eine «Lex Curling», um die Männer-Weltmeisterschaft in der St. Jakobshalle zu ermöglichen. Weil das Turnier vom 31. März bis 8. April auf Karfreitag und Ostersonntag fällt, musste das Baselbieter Ruhetagsgesetz geändert werden, das Sportveranstaltungen an hohen Feiertagen untersagt. Und für welche Daten läuft der Vorverkauf am besten? Für die hohen Feiertage. Mit 16’000 Zuschauern rechnen die Veranstalter über das gesamte Turnier, rund 35 Millionen TV-Zuschauer sollen weltweit Bilder sehen. Favoriten sind wie immer die Kanadier. www.wmcc2012.ch
Hier finden Sie die Resultate der Frauen-Weltmeisterschaft.
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Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 23.03.12