Das UNO-Kriegsverbrechertribunal für das frühere Jugoslawien hat sechs ehemals ranghohe Führer der bosnischen Kroaten zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Zusammen wurden sie zu insgesamt 111 Jahren Gefängnis verurteilt.
Sie seien schuld an Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, urteilten die Richter am Mittwoch in Den Haag. Tausende von Muslimen wurden im bosnischen Krieg 1992 bis 1995 getötet, vergewaltigt oder vertrieben.
Eine «Schlüsselrolle» spielte der heute 53-jährige Jadranko Prlic, wie der Vorsitzende Richter Jean-Claude Antonetti sagte. Der ehemalige Regierungschef des damaligen, selbst proklamierten Kleinstaates Herzeg-Bosna wurde zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt.
Der Ministaat wurde damals direkt vom Nachbarn Kroatien unter Präsident Franjo Tudjman unterstützt. Auch dem vor 14 Jahren verstorbenen Tudjman wurde vom Tribunal erstmals öffentlich Beteiligung an diesen Kriegsverbrechen angelastet.
Die jetzt zu hohen Haftstrafen verurteilten Männer waren Teil des «gemeinsamen verbrecherischen Unternehmens» zur «ethnischen Säuberung» der Muslime im bosnischen Bürgerkrieg (1992-1995), wie es heisst.
An deren Spitze standen nach dem Richterspruch neben Tudjman, dessen Verteidigungsminister Gojko Susak und Generalstabschef Janko Bobetko. Alle drei Spitzenpolitiker sind schon lange tot, doch werden sie in Kroatien teilweise noch wie Heilige verehrt.
Das gilt besonders für Tudjman, den «Vater der Nation» und Architekt der 1991 erzielten Unabhängigkeit von Jugoslawien. Erst in diesem Monat wurde ihm ein neues Denkmal in der Hafenstadt Split errichtet.
Verbrechen waren geplant
In der fast zwei Stunden dauernden Verlesung der Zusammenfassung des Urteils schilderte der französische Richter eine grausame Terrorkampagne der bosnischen Kroaten. Danach hatte die Armee jahrelang gemordet, gefoltert, vergewaltigt und zerstört. Symbol für den Terror wurde die Belagerung der Stadt Mostar und die Zerstörung der historischen Steinbrücke über die Neretva.
Diese Verbrechen seien nicht willkürlich von einigen Soldaten begangen worden, betonte Antonetti: «Im Gegenteil, sie waren das Ergebnis eines Plans, die muslimische Bevölkerung aus Herzeg-Bosna zu vertreiben.» Die «ethnische Säuberung» hatte damals international für Entsetzen gesorgt und war mit ein Anlass für die Errichtung des Tribunals durch den UNO-Sicherheitsrat 1993.
Muslime wurden nachts aus ihren Häusern geholt, Frauen und Mädchen vergewaltigt. «Drei Mädchen waren 8, 10 und 13 Jahre alt,» sagte der Richter. Die Armee hielt, wie es im Urteil weiter heisst, in Gefangenenlagern Tausende von Menschen unter erbärmlichsten Umständen festgehalten. «Muslime wurden als menschliche Schutzschilde an der Front eingesetzt», sagte der Richter.
10 bis 20 Jahre Haft
Äusserlich unbewegt nahmen die sechs Männer die Urteile entgegen. Bruno Stojic, der damalige Verteidigungschef, schüttelte ungläubig lachend den Kopf. Er muss für 20 Jahre ins Gefängnis.
Das ist auch die Strafe für den ehemaligen hohen Offizier Slobodan Praljak (68) und den Armee-Chef Milivoj Petkovic (63). Valentin Coric (56) und Berislav Puïc (60), beide ehemalige hohe Offiziere der Militärpolizei, müssen für 16 beziehungsweise 10 Jahre in Haft.
Mit mehr als sechs Jahren war dies einer der längsten Prozesse in der Geschichte des Tribunals. Noch einmal zwei Jahre brauchten die Richter für ihr Urteil. Die Urteilsbegründung umfasst mehr als 2600 Seiten.