Mit Markus Buck übernahm im Dezember 2015 ein ehemaliger Coach des deutschen Schwimmverbandes als Chef Leistungssport für den Bereich Schwimmen bei Swiss Swimming.
Der 35-jährige Stuttgarter begann mit einem 60-Prozent-Pensum, da sein Vorgänger und Landsmann Steffen Liess noch bis zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro gewisse Funktionen behielt. Mittlerweile ist Buck, der früher selbst schwamm, aber schon früh an den Beckenrand wechselte, zu 100 Prozent angestellt.
Markus Buck, Sie kennen den Schweizer Schwimmsport seit einigen Jahren, Ende 2015 wurden Sie Chef Leistungssport. Wie sehen Sie die Entwicklung?
«Die Entwicklung in den letzten vier bis acht Jahren war positiv. Man musste nach einer sehr erfolgreichen Zeit mit Flavia Rigamonti, aber auch mit Flori Lang und Dominik Meichtry, um nur ein paar Namen zu nennen, wieder den Aufbau von unten schaffen.»
Aber in den letzten Jahren hat doch niemand mehr von der Schweizer Elite an internationalen Grossanlässen eine Medaille gewonnen.
«Im Nachwuchsbereich gab es einige Erfolge zu verzeichnen. Da ist der Aufbau sehr gut gelungen. Doch wir haben in der Schweiz immer wieder das Problem, dass es sich nach ganz oben sehr ausdünnt.»
Swiss Swimming hat kaum Spitzenschwimmer.
«Die absolute Spitze ist sehr, sehr klein. Wir stehen da auf tönernen Füssen. Es gibt viele Unwägbarkeiten, an welchen die Sportler nach und nach scheitern. Aber die Leute, die dann in der Spitze ankommen, sind konkurrenzfähig und bewegen sich im Bereich der Top 16. Martina van Berkel, Maria Ugolkova und Jérémy Desplanches haben das letztes Jahr in Rio eindrucksvoll bewiesen. Dazu kam noch die Crawl-Staffel der Frauen.»
Sie sind Sportwissenschaftler und waren Trainer beim grossen, traditionsreichen und früher oftmals auch erfolgreichen deutschen Schwimmverband. Ist da Swiss Swimming nicht ein Abstieg für Sie?
«Das mag der eine oder andere so sehen. Ich wusste aber, auf was ich mich einlasse. Ich war schon von 2008 bis 2010 in der Schweiz, als Stützpunkttrainer in Kreuzlingen. Damals lernte ich auch das Schweizer System schätzen. Danach ging ich zum DSV, bei welchem ich eine sehr spannende und aufregende Zeit erlebte. Da habe ich viel gelernt.»
Weshalb dann der Wechsel?
«Von der Arbeitsweise, der Struktur und dem Grad der Professionalität war ich eher enttäuscht. In der Schweiz habe ich das anders erlebt. Das sportliche Niveau ist sicherlich niedriger. Aber für mich ist das Gesamtkonstrukt wichtiger. Ich habe lieber ein Umfeld, in welchem ich professionell, langfristig und mit meinen Ideen und Gedanken-Strategien arbeiten kann.»
Sie hatten und nahmen sich die Zeit, Swiss Swimming zu durchleuchten und zu analysieren. An welchen Schrauben wollen Sie nun drehen?
«Mit dem neuen Olympia-Zyklus konnten neue Ideen und Konzepte eingebracht werden. Es ist ein Mix aus neuen Dingen und solchen, die in der Vergangenheit gut funktioniert haben. Wirklich neu ist, dass wir jetzt auch von Seiten Verband mehr und mehr Trainingsmassnahmen anbieten wollen. Wir wollen die Vorbereitung auf den jeweiligen Saisonhöhepunkt bewusst unterstützen und damit auch ein Stück Verantwortung übernehmen.»
Das heisst, die gemeinsame Vorbereitung auf einen Grossanlass wird künftig obligatorisch?
«Eigentlich ist das so. Wenn jemand eine bessere Alternative hat, so muss er dies begründen. Aber beispielsweise Desplanches hat in Nizza hervorragende Trainingsbedingungen. Da gibt es keinen Grund, ihm das wegzunehmen.»
Gibt es weitere Aspekte, die neu sind?
«Es soll regelmässig Kader-Wochenenden geben. Neu ist auch, den Bereich Sportwissenschaft und Leistungsdiagnostik bewusst einzubringen. Das gehört einfach dazu, damit du auf ein Topniveau kommen kannst.»
Worum geht es da?
«Darum, die Reserven hervorzuholen und die letzten Feinheiten abzustimmen. Das Ganze ist nun institutionalisiert und standardisiert und für das Nationalmannschaftskader vorgeschrieben. Neu werden wir auch vom Baspo einen Sportwissenschaftler gestellt bekommen, der zu 60 oder 70 Prozent für uns arbeitet. Das ist deutlich mehr als in der Vergangenheit. Von diesem erhöhten Aufwand erhoffen wir uns auch eine entsprechende Leistungsentwicklung. Und nicht zuletzt wurde das Limitensystem grundsätzlich geändert.»
Wie denn?
«Wir orientieren uns jetzt bei der Bestimmung der Limite rein an den Leistungen am entsprechenden Zielwettkampf. So nahmen wir beispielsweise für Budapest die Resultate der letzten zwei Weltmeisterschaften zur Hand. Wer zudem im letzten Jahr starke Leistungen gezeigt hatte, war vorqualifiziert.»
Sie haben Budapest erwähnt. An der WM werden nur vier oder fünf Schweizer Schwimmer an den Start gehen. Gibt es überhaupt jemanden, der eine Finalchance hat?
«Die Chancen für eine Top-8-Platzierung existieren, doch dafür müsste wirklich alles stimmen.»
Wie sehen Sie den weiteren Weg bis Olympia 2020 in Tokio?
«Wir haben bei der Analyse von Rio klar gesehen, dass wir bezüglich Platzierungen mit das grösste Potenzial in den Staffeln haben. Diese können sich mit einer Platzierung in den Top zwölf schon an der WM im Jahr vor Olympia einen Quotenplatz sichern. Eine oder zwei Swiss-Swimming-Staffeln in Japan zu haben, das wäre meine Idealvorstellung.»
Wie wollen Sie das erreichen?
«Da auch die WM 2019 in Asien (Südkorea – Red.) stattfinden wird, sehen wir sie auch als Vorbereitung für Olympia ein Jahr später bereits als einen grossen Hauptwettkampf von uns an. Unsere Top-Kräfte sollen möglichst schon an der WM 2019 die von der FINA geforderten A-Limiten für Tokio schwimmen, so dass wir Planungssicherheit haben. Mit Swiss Olympic ist auch angedacht, dass wir unser Vorbereitungscamp für 2019 wie auch für 2020 am gleichen Ort in Japan abhalten werden.»
Wäre es für Swiss Swimming in den Olympia-Jahren nicht auch wichtig, an den einige Wochen vorher stattfindenden Europameisterschaften möglichst gut abzuschneiden?
«Ja, denn für uns zählt nicht nur das Ergebnis an den Olympischen Spielen. Die Einstufung durch Swiss Olympic erfolgt aufgrund der Gesamtbilanz in einem olympischen Zyklus. An dieser Evaluierung hängt unsere Finanzierung in den folgenden vier Jahren. Unsere besten Chancen, an einem Grossanlass gut abzuschneiden, ist eindeutig die EM vor Olympia. Da treten einige Nationen nicht mit ihren besten Schwimmern an.»
Die EM 2016 in London war demzufolge kein Ruhmesblatt.
«2016 haben wir leider unheimlich viel Potenzial für eine gute Platzierung nicht ausgeschöpft. Nimmt man die Bestzeiten unserer Top-Schwimmer, so wären in London sogar wieder einmal Medaillengewinne möglich gewesen. Deshalb werden wir der EM 2020 ebenfalls eine grössere Bedeutung einräumen. Da wollen wir erreichen, dass unsere Leute in Topform antreten werden. Man kann eine sehr gute EM schwimmen und dann nochmals sehr gute Olympische Spiele.»
Eine Schweizer Meisterschaft wie zuletzt in Genf ist immer auch eine Leistungsschau. Wie sahen Sie das Niveau?
«Es gab Licht und Schatten, aber das ist wohl immer so. Gerade aus Sicht des Nachwuchses war es sehr erfreulich. Es deutet sich eine sehr gute nächste Generation an. Mit Blick auf einzelne Athleten hätte ich mir teils aber schon bessere Leistungen erhofft.»