Baumeister und Gewerkschaften greifen im Gefecht um den Gesamtarbeitsvertrag zu einer neuen Waffe: Unterschriften der Bauarbeiter. Mit diesen wollen beide Seiten beweisen, dass die Bauarbeiter ihrer Meinung sind.
Der Schweizerische Baumeisterverband (SBV) hat rund 26’000 Unterschriften gesammelt und diese am Freitag Boris Zürcher, Leiter der Direktion für Arbeit beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), überreicht. Wie es den Gepflogenheiten in dem öffentlich ausgetragenen Konflikt entspricht, wurde dies danach an einer Medienkonferenz kundgetan.
Dort sagte Gian-Luca Lardi, Zentralpräsident des Baumeisterverbandes, die Unterschriften zeigten, dass die Bauarbeiter mit dem aktuellen Gesamtarbeitsvertrag glücklich seien. Mit einer Fortführung des heutigen Vertrages – wie dies die Baumeister vorschlagen – wären die Bauarbeiter zufrieden.
Diese Unterschriften seien wertlos, entgegnen die Gewerkschaften Unia und Syna in einer Mitteilung vom Freitag. Ein guter Teil der Bauarbeiter, die unterschrieben hätten, sei zu der Unterschrift gezwungen worden. Die Gewerkschaften schreiben, sie hätten selbst ebenfalls Unterschriften: Über 30’000, freiwillige.
Diese Unterschriften zeigten, dass die Bauarbeiter Verhandlungen über den Gesamtarbeitsvertrag – den sogenannten Landesmantelvertrag – wollten und nicht einfach eine Verlängerung des bisherigen.
Stein des Anstosses
Der Baumeisterverband verweigert inhaltliche Verhandlungen über den Landesmantelvertrag wegen der Fachstelle «Risikoanalyse» der Gewerkschaft Unia. Diese Fachstelle prüft für Baufirmen, ob deren Subunternehmen Lohndumping begehen.
Die Baumeister argumentieren, diese einseitige Überprüfung sei nicht zulässig. Die Einhaltung des Gesamtarbeitsvertrages müsse gemeinsam mit den Arbeitgebervertretern kontrolliert werden. Die Unia verhalte sich so, als sei die Sozialpartnerschaft ein Fussballspiel, bei dem sie gleich selber den Schiedsrichter mitbringe.
Unia und Syna werfen den Baumeistern derweil Verhandlungsverweigerung vor. Mit unhaltbaren Begründungen habe der Baumeisterverband seit Februar sämtliche Verhandlungen zum Landesmantelvertrag verweigert, heisst es in der Mitteilung vom Freitag.
Vertragsloser Zustand
Kommt es bis Ende Jahr nicht zu einer Einigung, droht ein vertragsloser Zustand. Einen solchen wollen gemäss eigenen Angaben beide Seiten verhindern. Die nächsten Verhandlungen soll es Ende November geben. Dort wollen die Baumeister aber nur über die Löhne für 2016 und den frühzeitigen Altersrücktritt sprechen – nicht aber über den Landesmantelvertrag.
Laut Nico Lutz, Sektorleiter Bau bei der Unia, ist das unsinnig. Voraussetzung für Lohnverhandlungen sei, dass man im nächsten Jahr noch einen Gesamtarbeitsvertrag habe, sagte er der Nachrichtenagentur sda. Ohne Vertrag müsse man nicht über den Lohn diskutieren.
Frühzeitige Pensionierung
Der frühzeitige Altersrücktritt ist ein zweiter Streitpunkt zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern. Damit die Bauarbeiter wegen der körperlichen anstrengenden Arbeit ab 60 in Pension gehen können, gibt es die Stiftung flexibler Altersrücktritt (FAR). Sie zahlt eine Überbrückungsrente bis zum ordentlichen Pensionsalter mit 65.
Nun drohen der Stiftung aber Finanzierungsprobleme. Den Baumeistern zufolge ist das ein demographischen und damit ein systematisches Problem. Sie wollen es lösen, indem zum einen die Leistungen gekürzt, zum andern die Lohnprozente erhöht werden.
Die FAR-Rente sei wesentlich höher als die ordentliche Rente von AHV und BVG. Es bestehe also eine Überversicherung, sagte Lardi an der Medienkonferenz. Bei Finanzierungsproblemen sei es folglich «mehr als legitim», hier Kürzungen vorzunehmen.
Zu tief
Lutz von der Unia hält das für ganz und gar nicht legitim. Heute betrage die durchschnittliche Rente 4400 Franken, sagte er. Mit den von den Baumeistern vorgeschlagenen Kürzungen wären es noch 3600 Franken. «Wie wollen sie damit in der Schweiz leben?», fragte er. Faktisch werde die Kürzung dazu führen, dass kein Bauarbeiter mehr mit 60 in Rente gehe.
Die Finanzierungslücke bei der Stiftung FAR ist aus Sicht der Gewerkschaften vorübergehend. Die Babyboomer, die in Rente gehen, und die boomende Baukonjunktur Ende der 80er-Jahre, führten während der nächsten rund 10 Jahren zu einem zusätzlichen Finanzierungsbedarf. Die Gewerkschaften wollen diesen mit einer Erhöhung der Lohnbeiträge lösen.