Die Führung der katholischen Kirche geht einen Schritt auf Schwule und Lesben zu. Kenner sprechen von einem «Erdbeben», Auslöser ist ein Dokument.
Die Führung der katholischen Kirche geht einen Schritt auf Schwule und Lesben zu. Homosexuelle könnten die christliche Gemeinschaft bereichern, hiess es am Montag in einem Dokument des Vatikans nach einer Tagung von 200 Bischöfen zum Thema Familie.
Erstmals wird darin die Frage aufgeworfen, ob die Kirche diese Menschen willkommen heisse und ihnen einen «brüderlichen Platz» in den Gemeinden anbieten könne, ohne die katholischen Vorstellungen von Ehe und Familie zu verletzen.
Die römisch-katholische Kirche verurteilt homosexuelle Handlungen und lehnt die gleichgeschlechtliche Ehe ab. In dem Dokument gibt es zwar keine Hinweise, dass sie von dieser Haltung abrückt. Doch erstmals ist nun nach der Familien-Synode auch von «positiven Aspekten» gleichgeschlechtlicher Beziehungen die Rede.
Die Formulierungen heben sich deutlich von früheren Erklärungen ab, die unter den Vorgängern von Papst Franziskus veröffentlicht wurden. So nannte Benedikt XVI., als er noch Kardinal Joseph Ratzinger war, Homosexualität eine «Anomalie».
Wende unter Franziskus
Der Vatikan-Experte und Buchautor John Thavis spricht angesichts des neuen Tonfalls von einem «Erdbeben». Das Dokument zeige, dass Franziskus beim Thema Ehe und Familie die Barmherzigkeit in den Vordergrund rücke. Die Formulierungen lassen vermuten, dass sich unter den Bischöfen gemässigtere Kräfte durchgesetzt haben.
Das Dokument «Relatio post disceptationem» (Bericht zum Stand der Diskussion) ist nach einwöchigen Diskussionen der Bischöfe verfasst worden und wurde am Montag in Anwesenheit von Franziskus verlesen. Es bildet die Grundlage für weitere Gespräche in der Synode, die in den kommenden Tagen folgen sollen. Eine weitere Tagung dieser Art ist für 2015 geplant.