Für viele kam es überraschend. Vor drei Tagen habe ich den Goldenen-Löwen-Gewinner gefragt, warum er gewinnen wird: «Weil ich speziell bin».
Der 71. Goldene Löwe geht an den Schwedischen Regisseur Roy Andersson (Lichtspiele-Blog dieser Woche) für «EN DUVA SATT PÅ EN GREN OCH FUNDERADE PÅ TILLVARON» – («Eine Taube sass auf einem Zweig und dachte über das Dasein nach»). Das Porträt der Tageswoche über Andersson finden Sie hier.
Damit überrascht die Jury und legt gleichzeitig ein Statement für die Eigenständigkeit und Poesie ab. Denn auch der Silberne Löwe ehrte einen Poeten der Stille: Er ging an Andrej Končalovskij für die beste Regie und seinen Film über eine abgelegene Dorfgemeinschaft im russischen Hinterland: «THE POSTMAN’S WHITE NIGHT». Mehr über den Gewinner und unseren inhaltlichen Überblick hier.
Coppa Volpi für Hungry Hearts
Je eine Coppa Volpi gehen an die Italienerin Alba Rohrwacher als beste Schauspielerin und Adam Driver als bester Schauspieler, die beide in «HUNGRY HEARTS» des Italieners Saverio Costanzo brillierten.
Der grosse Preis der Jury ging an «THE LOOK OF SILENCE». Joshua Oppenheimer, der mit seinem letzten Dokumentar-Film «The Act Of Killing» für den Oscar nominiert gewesen war. In seinem neuesten Film geht Oppenheimer noch einen Schritt weiter. Hatte er beim ersten Film noch die Mörder des Genozids in Indonesien 1965-66 ihre Taten nachspielen lassen, konfrontiert er nun Täter und Opfer, mit seinem eigenen Film.
Oppenheimer lässt in einer nicht stattfindenden Vergangenheitsbewältigung Täter und Opfer sich begegnen. Er macht einen Film über die Wirkungslosigkeit von Film: Täter, die zum Teil noch heute an der Macht sind, sitzen den Nachfahren von Opfern gegenüber, die noch heute die Greueltaten nicht fassen können, und stattdessen schweigen.
Oppenheimer hat das Schweigen in Bilder gefasst: Reuelos die einen, hilflos die anderen, verschlägt es den Nachfahren der Opfer die Sprache. Ein erschreckendes Dokument der Mitläuferei, der Barbarei und des Mitmachertums. Ein grosser Dokumentarfilm.
Spezialpreis an Franco Maresco
Der Spezial-Preis der Jury in der Reihe «Horizonte» ging an «BELLUSCONE. UNA STORIA SICILIANA» des Italieners Franco Maresco, der aus dem Milieu der schlagersingenden Berlusconi-Wähler berichtet.
Die Jury hat mit ihrer Entscheidung auch die Leitung des Festivals belohnt: Für den Mut, sich thematisch zu exponieren. Viele Filme thematisierten formal den schauspielerischen Prozess in der Herstellung von Filmwirklichkeit und loteten inhaltlich das Verhältnis der Generationen aus: Auffällig oft waren Kinder Spielball elterlicher Ansprüche und Erziehung bis zur Vernichtung.
Insgesamt ist die Erleichterung rund um das Filmfestival Venedig gross: Die Feinkost hat gesiegt. Die Beteiligung des italienischen Films ist wieder ansehnlich, die Debatten auf höchstem Niveau. Auch für die Einheimischen sind kleine Zeichen gesetzt worden: Der Regisseur Stefano Sollima hat für seine Arbeit an der TV-Serie «Gomorra» seine Ehrung bereits am Dienstag erhalten.
Traumbilder eines Verzweifelten: Roy Andersson
Der Passagier ist gestorben. Bleibt die Frage: Was geschieht mit seinem Menu 1?