Die Anklage will den früheren südafrikanischen Sprintstar Oscar Pistorius hinter Gittern sehen, die Verteidigung setzt auf Milde: Im Ringen um das Strafmass für den wegen fahrlässiger Tötung schuldig gesprochenen Athleten hat die Verteidigung versucht, Pistorius als verletzlichen und wohltätigen Menschen darzustellen.
Bewährungshelferin Annette Vergeer warnte am Dienstag vor Gericht in Pretoria, eine Gefängnisstrafe werde Pistorius «brechen». «Ohne Beine wird er verwundbar sein, deutlich verletzlicher als ein normaler Mann», sagte Vergeer.
Sie berichtete von einem Fall von Gruppenvergewaltigung, mit dem sie kürzlich im Gefängnis zu tun gehabt habe: «Wie können wir sagen, dass er dem nicht ausgesetzt sein wird?»
Staatsanwalt Gerry Nel hatte zuvor beim Kreuzverhör von Pistorius‘ langjährigem Manager Peet van Zyl vor allem Anstoss an dessen Versuch genommen, den Angeklagten als Wohltäter darzustellen. Dass Spitzenathleten sich auch für das Gemeinwohl engagierten, sei «nichts Aussergewöhnliches», sondern eher ein Karrierebaustein sagte Nel.
Auf Van Zyls Einwand, dass viele Sportler «ihren Beitrag leisten und etwas bewegen wollen», antwortete Nel knapp: «Aber als Bonus, als Beiwerk.»
Auf die Frage, ob sein langjähriger Schützling wieder an Wettkämpfen teilnehmen wolle, sagte der Manager: «Darüber habe ich mit ihm nicht gesprochen.» Das hänge vom Ausgang des Prozesses ab, fügte Van Zyl hinzu.
Hausarrest, Bewährung oder lange Haftstrafe?
Der Prozess war am Montag in seine Schlussphase getreten. Dabei geht es um die Frage, ob Pistorius wegen des Todes seiner Freundin Reeva Steenkamp ins Gefängnis muss. Der 27-Jährige wurde vor einem Monat der fahrlässigen Tötung schuldig gesprochen, das Strafmass steht aber noch aus.
Ein für die Betreuung von Gefangenen zuständiger Sozialarbeiter hatte Nel am Montag mit der Empfehlung empört, Pistorius drei Jahre lang «unter Hausarrest» zu stellen. In dieser Zeit solle er 16 Stunden monatlich als gemeinnützige Arbeit in einem Museum putzen, um die Möglichkeit zu erhalten, «sein Verhalten zu ändern». Nel nannte den Vorschlag «auf schockierende Weise unangebracht».
Für fahrlässige Tötung gibt es in Südafrika kein gesetzlich vorgeschriebenes Strafmass. Pistorius könnte eine Bewährungsstrafe erhalten oder bis zu 15 Jahre in Haft kommen. Die Entscheidung trifft Richterin Thokozile Masipa.
Jahrelanges Verfahren möglich
Anklage und Verteidigung aber haben in den nächsten Tagen noch einmal Gelegenheit, ihre Argumente vorzutragen. Wann Masipa das Strafmass verkündet, war zunächst unklar. Anschliessend können beide Seiten in Berufung gehen, das Verfahren könnte sich somit noch über Jahre hinziehen.
Der an den Unterschenkeln amputierte Sportler hatte seine Lebensgefährtin Steenkamp im Februar 2013 erschossen, weil er sie nach eigenen Angaben für einen Einbrecher gehalten hatte. Eine Tötungsabsicht bestreitet Pistorius.
Richterin Masipa hatte den 27-Jährigen mit dem Argument vom Mordvorwurf freigesprochen, dass es der Staatsanwaltschaft nicht gelungen sei, den Vorwurf zweifelsfrei zu belegen. Das Urteil war in Südafrika auf harsche Kritik gestossen.