Die Beschlüsse des EU-Gipfels zur Flüchtlingskrise sind auf Kritik gestossen. Das Treffen der Staats- und Regierungschefs in Brüssel sei «eine Gesichtswahrungs-, keine Lebensrettungsoperation» gewesen, erklärte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International.
Besonders kritisiert wurde, dass das Einsatzgebiet der EU-Grenzschutzmission «Triton» nicht bis vor die libysche Küste ausgedehnt wurde.
Am EU-Gipfel am Donnerstag hatten die Staats- und Regierungschefs beschlossen, die Mittel für die EU-Überwachungsmissionen auf See zu verdreifachen. Zur Bekämpfung der Schleuserbanden sollen Militäreinsätze zur Zerstörung ihrer Schiffe geprüft werden. Der Sondergipfel war nach dem Flüchtlingsunglück im Mittelmeer von Sonntag mit etwa 800 Toten anberaumt worden.
«All die Worte und Ressourcen, die auf dieses Problem verwendet werden, legen nahe, dass die EU-Oberhäupter es ernst meinen mit dem Retten von Leben auf hoher See», erklärte der Amnesty-Chef in Europa, John Dalhuisen. «Aber die Wahrheit ist, dass sie das Problem weiter nur halbwegs angehen.» Wenn das Einsatzgebiet der EU-Seemissionen nicht ausgeweitet werde, «werden Migranten und Flüchtlinge weiter ertrinken».
Abwehr statt Lebensrettung
Die Hilfsorganisation Oxfam erklärte, die Gipfelbeschlüsse seien «vollkommen unzureichend». Die Seemissionen müssten ein klares Mandat erhalten, «als oberste Priorität Leben zu retten». Ausserdem dürfe es keine geografischen Beschränkungen geben.
Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen kritisierte, es würden in grossem Umfang Mittel für den Kampf gegen Schlepper statt für die Seenotrettung bereitgestellt. Dies bedeute eine Fortsetzung des bisherigen Kurses, der vorwiegend auf Abwehr setze.
Die Internationale Organisation für Migration (IOM) und das UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) begrüssten hingegen die EU-Pläne zur Rettung von Bootsflüchtlingen und forderten deren konsequente Umsetzung.
Eingeschränktes Einsatzgebiet
Der «Triton»-Einsatz vor Italien hat nun monatlich rund neun Millionen Euro zur Verfügung und damit ebenso viel wie der im November eingestellte italienische Seenotrettungseinsatz «Mare Nostrum». Dessen Einsatzgebiet reichte aber bis vor die Küste Libyens, von wo aus sich die meisten Flüchtlinge auf den Weg nach Europa machen.
Viele Flüchtlingsschiffe geraten bereits unweit der libyschen Küste in Seenot. Notrufe von dort sind oft nicht im «Triton»-Einsatzgebiet zu empfangen.
Bei Bedarf können «Triton»-Schiffe ihr Einsatzgebiet verlassen, allerdings patrouillieren sie normalerweise nicht vor der libyschen Küste. Allein in Libyen wird die Zahl der Migranten, die nach Europa gelangen wollen, auf 500’000 bis eine Million geschätzt.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte nach dem Gipfeltreffen, über die Frage des Einsatzgebietes müsse aus ihrer Sicht erneut gesprochen werden. Beim Brüsseler Treffen hatte es offenbar Widerstand anderer Staaten gegeben.
Merkel für neue Flüchtlingsverteilung
Merkel sprach sich am Freitag ausserdem für eine Reform der Flüchtlingsverteilung in der EU aus. Das sogenannte Dublin-System, nach dem Asylbewerber dort aufgenommen werden, wo sie zuerst ankommen, funktioniere nicht mehr, sagte Merkel auf einer CDU-Veranstaltung in Bremerhaven. Vor allem Italien, Griechenland und Malta drängten auf eine Reformen.
«Es ruft alles nach einem System, bei dem wir die Bevölkerungszahl mit einbeziehen und die Wirtschaftskraft», sagte Merkel. Aber auch die Asylverfahren und die Registrierung müssten überall in der EU nach den gleichen Standards abgewickelt werden.