«Vielen Dank für nichts»: Behinderte ernstnehmen, kann auch lustig sein

Valentin ist in der Pubertät. Ihm ist, als sei er noch der einzige Normale unter lauter Behinderten. Das stimmt. Aber auch Valentin – gespielt von Joel Basman – sitzt seit Kurzem im Rollstuhl. «Vielen Dank für nichts» – ein Film über das Normalmass im Normalmass. Durch die verdunkelten Augen von Joel Basmans Valentin, sieht die […]

Valentin ist in der Pubertät. Ihm ist, als sei er noch der einzige Normale unter lauter Behinderten. Das stimmt. Aber auch Valentin – gespielt von Joel Basman – sitzt seit Kurzem im Rollstuhl. «Vielen Dank für nichts» – ein Film über das Normalmass im Normalmass.

Durch die verdunkelten Augen von Joel Basmans Valentin, sieht die Welt seit einiger Zeit anders aus: Seine Mutter, sein Zimmernachbar, die Sozialarbeiterin, alle sind sie seit Kurzem irgendwie gestört. Es ist, als wäre er der einzig Normale unter lauter Behinderten – tatsächlich ist es Valentin, der im Rollstuhl sitzt. Aber erst seit Kurzem. Und nicht allein.

Valentin turnt noch wie im Traum durch die neue Welt. Alles um ihn herum ist wie eine grossangelegte Ironie: Er hat lauter Behindertenwitze im Kopf. Wie soll er bloss damit fertig werden? Er ist seit Neuestem selber einer. Aber darüber kann er noch mit niemandem wirklich reden. Doch genau mit seinem Schweigen findet er überraschenderweise neue Freunde – in einem Heim für Behinderte.

Der junge Hamlet entwickelt sein eigenes Theater

Durch die Augen von Valentin sieht selbst das Theaterprojekt, in das er von seiner Mutter gebracht wird, ganz schön behindert aus: Valentin verweigert das Spiel als Hamlet. Stattdessen entwickelt er sein eigenes Drehbuch. Sein Hamlet probt die «Mausefalle» auf eine ganz eigene Art. Valentin verliebt sich und ihm fällt auf, dass die Behinderten – wie die Normalen – vor allem eins wollen: Ernst genommen werden.

Das will er auch. Wenn er auch in der Liebe noch nicht weiss wie: Mit einem Theatercoup lässt er die Welt Kopf stehen – und stellt damit zumindest seine neuen Kumpel auf eigene Füsse. Die werden jetzt ernst genommen. Durch Valentins Theatercoup bleibt dem Gericht gar nichts anderes übrig, als Lukas mündig zusprechen.

Kein Behindertendkitsch  – eine Normalo-Drama

Dass dieses Ernstnehmen auch lustig sein kann, beweist «Vielen Dank für Nichts» gleich mehrfach. Nach den «Intouchables» scheint es leichter möglich, Betroffenheit mit Leichtsinn zu paaren, ohne den Tiefsinn zu verlieren. Auch in «Vielen Dank für nichts» ist das – fast – gelungen.

Erst einmal ist «Vielen Dank für nichts» eine grandios fotografierte Bilderwelt. Pierre Mennel (Kamera) lässt die Liebesgeschichte flimmern, das Dunkel um Valentin schimmern, und Valentins Augen flackern. Da sitzt unauffällige Bild-Kunst im Dienst der feinen Sache, ohne sich in den Vordergrund zu drängen.

Dann ist da ein Ensemble, das ins Herz trifft. Joel Basman spielt als Valentin souverän gegen den Betroffenheits-Kitsch an. Das Regieteam tut das seine, um der Geschichte ihre Ironie zu belassen. Es lässt Valentin fast wortlos nach seiner eigenen Sprache suchen, mit weiten Augen und spitzer Zunge: Wie fragt man einen Rollstuhlfahrer, wie es geht? Oder sagt man einfach: «Läuft’s gut?»

Das Ensemble trifft ins Herz.

So fährt Valentin sitzend einem neuen Leben entgegen. Und ehe wir es versehen, haben wir nicht seine Geschichte gesehen, sondern die eines ganz anderen Protagonisten. Nikki Rappl. Sein «Spasti» ist einfach hinreissend naturbelassen. Ebenso wie jener des anderen Anarchisten: Bastian Wurbs. Und die beiden stehen (Verzeihung – sitzen!) für die restliche Gruppe an lebenshungrigen Schauspielern, die diesem Projekt so unendlich gut tun.

Als die Geschichte zu Ende ist, sitzt Valentin mit offenen Augen in seinem neuen Leben: Das Theaterstück bringt es, wie in «Hamlet», an den Tag: Die Menschen in seiner Umgebung mögen alle behindert sein. Aber mündig ist Valentins Kumpel erst jetzt geworden, seit er gelernt hat, über die Stränge der Normalen zu hauen. Das ist sein: Sein oder Nichtsein.

Ein Film über das Normalmass im Normalmass

Wäre nur die Dramaturgie manchmal nicht so überdeutlich für Fernsehmitarbeiter gedacht: Zum Beispiel muss die zart gespielte Mira viel zu rasch ihre Zuneigung zu Valentin auch den Zuschauern ausplaudern, oder die Sozialarbeiterin wird genötigt ein wenig Dramaturgie-Nachhilfestunden geben, wenn sie Rappls Vater sagt, er sei ja behinderter als sein Sohn. Und selbst der Vater darf ganz rasch plötzlich ein ganz anderer sein.

Wäre die Erzählung so rau geblieben wie der mürrische Valentin, der seiner Angebeten einen Sack voll Steine schenkt, der Film hätte die ganz grosse Zärtlichkeitsnote verdient. So bleibt «Vielen Dank für nichts» mit all seinen ganz grossen Augenblicken über die ganze Länge immerhin gut gemeint. Sehr, sehr gut gemeint. Und letztlich auch: Gut! Ein Stück Weg für Zuschauer, die die Ausgrenzung von Behinderten am eigenen Normalsein überwinden.  

Wäre die Erzählung so rau geblieben wie der mürrische Valentin, der seiner Angebeten einen Sack voll Steine schenkt, der Film hätte die ganz grosse Zärtlichkeitsnote verdient.

Die grosse Kraft im Film liegt ohnehin im Zuschauendürfen. Gemeint ist damit Valentin, der als eine Art geduldiger Zuschauer im Film eingebaut ist: Joel Basman übt sich als Neuankömmling in der hohen Kunst des Schauspielers: zuschauen und nichts tun. Er tut fast nichts – so scheint es, um seinen Valentin natürlich wirken zu lassen. Das ist, unter all den wahren, authentischen Menschen, die Valentin umgeben, eine kluge Wahl. Durch diese wachen Augen von Valentin erst, werden alle anderen in seiner Umgebung ein wenig weniger normal. Auch die Normalen.

Die normalen Normalen

«Vielen Dank für nichts» gelingt es eben auch, die Erlebniswelt einer ganz normalen, störrischen Jugend, einzufangen. Wenn die drei Rollstuhl-Rocker in der verkehrsfreien Innenstadt Fussgänger anrempeln, ist das purer jugendlicher Übermut. Doch dann geschieht, was wir am eignen Leib kennen: verwirrte Begegnungen. Erst ernten Valentin (Joel Basman), Lukas (Nikki Rappl) und Titus (Bastian Wurbs) böse Blicke. Normalerweise würden den Blicken Worte folgen. Doch, sobald die Passanten entdecken, wer sie da angerempelt hat, verwandeln sich die Blicke rasch. Mitleid, Irritation, Hilflosigkeit mischt sich in das säuerliche Lächeln, das dann folgt. Das erinnert uns daran, wie weit wir noch davon entfernt sind, selbstverständlich miteinander umgehen zu können:

Ich erinnere mich, wie ich vor Jahren einem Rollstuhlfahrer anbot, ihm aus der Strassenbahn zu helfen. Er schüttelte wütend meine Hand weg, wuchtete sich in seinem Rollstuhl aus der Tram, zog sein Gefährt vorne hoch, zu einer eleganten Kurve und tänzelte danach elegant auf zwei Rädern in der Nacht davon. Bewunderung, Irritation, Hilflosigkeit mischte sich in mein säuerliche Lächeln…

Valentin steht für diese beginnende Annäherung an eine Welt der Handicaps. Der Film meidet Valentins Aufarbeitung des eigenen Traumas. Anstatt die Vergangenheit zu erhellen, erzählt die Geschichte eine eigensinnige Art nach vorne zu blicken. 

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An der Vorpremière in den Kult-Kinos am 25.6. wird der Basler Regisseur Oliver Paulus anwesend sein, die Spielzeiten finden Sie im Kinoprogramm.

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