«Violette»

Neben Simone de Beauvoir das Lieblingskind der Literaten, aber vom Publikum verkannt. Violette Leduc tritt in «Violette» aus dem Schatten der grossen Frauenrechtlerin als grosse Sprachkünstlerin. «Meine Mutter», schreibt Violette Leduc als Erstes in ihr Manuskript, «hat mich nie bei der Hand genommen. Sie hat mich immer an der Schulter über die Strasse gezerrt». Damit […]

Neben Simone de Beauvoir das Lieblingskind der Literaten, aber vom Publikum verkannt. Violette Leduc tritt in «Violette» aus dem Schatten der grossen Frauenrechtlerin als grosse Sprachkünstlerin.

«Meine Mutter», schreibt Violette Leduc als Erstes in ihr Manuskript, «hat mich nie bei der Hand genommen. Sie hat mich immer an der Schulter über die Strasse gezerrt». Damit umreisst die französische Schriftstellerin ihren Lebensweg, ehe sie ihn auch literarische beschreitet. Und der Film von Martin Provost über «Violette» hat sein Hauptmotiv: Die ausgestreckte Hand.

Die Hand ihres Gönners, Jacques Guérin (Olivier Gourmet), die Violette ablehnt. Die Hand ihrer Fördererin Simone de Beauvoir (Sandrine Kiberlain), die Violette sucht. Die Hand des Maurers, die die Frau erst zögernd auf sich zulässt. Und sie kehrt zurück zur Hand ihrer eigenen Mutter, die sie erst im Herbst de Lebens findet. Endlich teilt Violette Leduc ihrer Mutter nicht nur literarisch mit, wie sie sich in ihrer Nähe immer gefühlt hat – als Bastard – sondern sie schreit es ihr auch im Leben ins Gesicht.

Simone de Beauvoirs Freundin, die mit niemandem befreundet sein konnte

Es ist eine der brilliantesten Sequenzen, in der die vielschichtige Emmanuelle Devos endlich den Schmerz der Verstossenen Violette herausschreien darf, bis sie schliesslich, wie ein Kind, von ihrer Mutter gehalten wird: Im Waschbecken wird sie gewaschen, nackt, sitzend, ausgesetzt, als hätte die Mutter sie eben aus einem kindlichen Albtraum gerettet und bei der Hand genommen. An eben jener Hand, die die Tochter ein Leben lang nach ihr ausgestreckt hatte: Sie habe nicht geschreiben, um die Menschen zu verstehen, äusserte Leduc einst in einem Brief an Simone de Beauvoir, sondern, «J’écri(t) pour les aimer“.

Nach dem Dokumentarfilm «Violette Leduc, la Chasse à l’amour» von Esther Hoffenberg, widmet sich nun also ein Spielfilm dem Leben der lange verkannten und länger unbekannten Autorin. Bezugnehmend auf die literarischen Schreie der Leduc, schildert der Film die kleinen Zeitfluchten im Leben der verkannten Autorin und die grosse Zeit der Frauenrechlerin Beauvoir, in der en Schatten sie immer stand. Beide verband eine innige Freundschaft. So wie Genet das literarische Projekt von Sartre war, war die Leduc jenes der Beauvoir: Sie erkannte deren Talent. Sie förderte sie heimlich. Sie war aber gleichzeitig auch deren Herausforderung. Nie erreichte die Leduc die Popularität ihrer Freundin. Aber es war die Beauvoir, die früh erkannte, dass es einen langen Atem brauchen würden, die hochliterarische Sprache Ihrer Freundin einem Publikum beliebt zu machen.

Die historische Kulturnation Frankreich trifft die aktuelle 

«Violette» ist ein sprachverliebter Film: Wenn auch der Film nicht versucht, die krasse, schreiende, erotische Sprache der Autorin filmisch zu imitieren, so ist das für «Violette» doch auch ein Segen. Der Regisseur Martin Provost  beweist eine ganz andere Sensibilität: Nach dem Künstlerinnen-Portrait «Séraphine» leuchtet er erneut die Mühen eines Künstlerlebens aus. Er liefert erneut ein starkes Statement gegen die zunehmende Kunstfeindlichkeit in rechten Kreisen: eine Kulturnation lebt eben von der Kunst und ihren  Künstlerinnen – der Gegenwart.  

Die Franzosen jeder Couleur lieben ihre Künstler. Sie lassen sich – gerne wiederstrebend – auch mal provozieren: Als man in Paris der Sechziger Jahre eben begann Courbets Kult-Bild einer Vulva  als «Origine du monde» in die Ikonografie des neuen, bürgerlichen weiblichen Selbstbewusstseins aufzunehmen, schrieb die Leduc über eine Liebesnacht mit ihrem Maurer den Satz: «“C’est baroque. C’est un sexe d’homme dans une main de femme. C’est pourtant la racine du monde».

Frankreich – ein Land das in seinen Filmen seinen politischen Diskurs führt

Provost nimmt eindrücklich und leise am politischen Diskurs teil. Z.B. an der von der Rechten losgetretenen Diskussion über die Homosexualität in Frankreich teil: Er lässt uns, anhand des Lebens einer Frau, die nach ihrer Identität sucht, über die Menschen und ihre Identität als sinnliche Wesen nachdenken. Leduc hat nicht als Feministin geschrieben. Aber sie hat beschreiben, wie Frauen die Nachkriegsjahre erlebten, als es darum ging das Europa der Männer, das ihnen der Zweie Weltkrieg hinterassen hatte, neu auszurichten.

Das macht «Violette» auch zu einem weitergreifenden Film. Tatsächlich schafft «Violette», was viele Filme in Frankreich immer wieder zustande bringen: Sie spüren die aktuellen gesellschaftlichen Diskurse mit filmischen Mitteln auf, und führen sie anspruchsvoll, lebendig oder schlicht provokativ dem Publikum vor. Gerne blicken wir wieder einmal zu unseren Kultur-Nachbarn: Nur noch die Film-Industrie in Dänemark vermag das, was unserem europäischen Nachbarn Frankreich gelingt: Dem gesellschaftlichen Diskurs in vielen Dingen sogar voraus zu sein.

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