Volles Haus und eine hitzige Debatte: «Mittendrin» zum Basler Polizeieinsatz

Das «TagesWoche Mittendrin» zum umstrittenen Polizeieinsatz auf dem Messeplatz bewegte: Rund 150 Interessierte und ein Podium mit Polizeidirektor Baschi Dürr versuchten sich an einer Aufarbeitung der Geschehnisse. Ein Ergebnis der Debatte: Basel findet zum Gespräch zurück. Volles Haus im Ackermannshof. 150 TagesWoche-Leser und Interessierte sind gekommen, um zuzuhören, um nachzufragen, auch um ihre Wut zu […]

Das «TagesWoche Mittendrin» zum umstrittenen Polizeieinsatz auf dem Messeplatz bewegte: Rund 150 Interessierte und ein Podium mit Polizeidirektor Baschi Dürr versuchten sich an einer Aufarbeitung der Geschehnisse. Ein Ergebnis der Debatte: Basel findet zum Gespräch zurück.

Volles Haus im Ackermannshof. 150 TagesWoche-Leser und Interessierte sind gekommen, um zuzuhören, um nachzufragen, auch um ihre Wut zu adressieren und rauszulassen, was sich in den letzten zwei Wochen angestaut hat. Anlass des «TagesWoche Mittendrin»: Der Polizeieinsatz am Art-Freitag auf dem Messeplatz. 34 Kunststudenten und unbeteiligte Art-Besucher waren unter dem Titel der Personenkontrolle von der Polizei abgeführt und in den Waaghof verfrachtet worden, wo sie Leibesvisitationen über sich ergehen lassen mussten und mehrere Stunden festgehalten wurden. 

Wir fragten: «Wie weit darf die Polizei gehen?» Und baten dazu Polizeidirektor Baschi Dürr, SP-Grössrätin und Juristin Tanja Soland, den SVP-Grossrat Joël Thüring, Stadtentwickler Thomas Kessler und Enrique Fontanilles, an der Aktion mitwirkender Künstler und Dozent an der Schule für Gestaltung um Antworten. Über den Anlass berichteten auch der «Blick am Abend» und Radio Energy:

Kein Tribunal durfte es werden gegen Baschi Dürr, eine Aufarbeitung der Ereignisse sollte es sein, bestenfalls. Es ist am Schluss eine Vermessung der Standpunkte und des gegenseitigen Misstrauens geworden. Vielleicht markiert der Community-Anlass aber den Beginn eines grossen Basler Gesprächs, das so bitter nötig ist, wie Stadtentwickler Thomas Kessler auf dem Podium anmerkt: «Ich bin dankbar für diesen Dialog, es ist wichtig, dass wir miteinander reden und nicht die Polizei unser Zusammenleben regeln lassen.»

Hat die Polizei Gesetze verletzt?

Der Einsatz war rechtmässig, ist sich Baschi Dürr sicher. Wie er den Einsatz begründet:

(Bild: Hans-Joerg Walter)

SP-Grossrätin Tanja Soland ist Juristin. Immer wieder setzt sie sich politisch mit Grenzüberschreitungen der Basler Polizei auseinander. Den Einsatz auf dem Messeplatz hält sie grösstenteils für rechtswidrig. Diametral anders sieht das SVP-Grossrat Joël Thüring, der Dürr für sein hartes Eingreifen lobt.

Im nachfolgenden Dialog zwischen Thüring und Soland, versucht der SVP-Mann zudem die Kunstaktion als ein Projekt der Schule für Gestaltung (SfG) darzustellen. Ein Vorwurf, den Fontanilles energisch von sich weist, alle Beteiligten hätten in ihrer Freizeit geprobt. Die Berichtigung hat einen guten Grund: Das Erziehungsdepartement hat auf die Schulleitung Druck ausgeübt, nachdem auf der Facebook-Seite der SfG ein kritischer Kommentar zur Polizeiaktion publiziert wurde.

(Bild: Hans-Joerg Walter)

(Bild: Hans-Joerg Walter)

Soland steht im Kontakt mit den Betroffenen, um eine strafrechtliche Überprüfung der Polizeiaktion einzuleiten. Dürr glaubt nicht, dass seine Beamten Gesetze übertreten haben: «Sonst hätte längst jemand geklagt.»

Für Remo Leupin, Leiter Print der TagesWoche, der das Gespräch moderierte, haben die Beamten und deren Vorgesetzte in mehreren Punkten gegen das Gesetz verstossen. Er zitiert aus dem Polizeigesetz, verletzt sieht er die Paragraphen 7, 35 und 39. Baschi Dürr verweist auf den Rechtsweg, sollte jemand einen Gesetzesbruch vermuten. 

War der Einsatz verhältnismässig?

Wie lässt sich begründen, dass unbewilligte Demos toleriert werden, die Kunstaktion auf dem Messeplatz aber nicht? Weshalb schätzte die Polizei die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch die Pappdeckel-Choreografie schwerer ein als eine mögliche Eskalation während der Wasserschlacht auf dem Messeplatz tags darauf, als auch an den Polizeieinsatz vom Vorjahr erinnert wurde?

Remo Leupin fragt, Baschi Dürr erklärt sich, dann schaltet sich ein Community-Mitglied ein. Fontanilles wiederum vermutet, dass auch die Art Basel eine Rolle gespielt hat:

Braucht Kunst eine Bewilligung?

Eine der zentralen Fragen nach dem Polizeieinsatz. Für Fontanilles ist klar: Ein Bewilligungsgesuch führt die künstlerische Intervention ad absurdum. «Dann kann ich gleich aufhören zu arbeiten. Eine Fasnachtsclique meldet ihr Sujet auch nicht vorgängig an.»

Diese Haltung ging auch aus einem emotionalen Votum des Community-Mitglieds Michèle Meyer hervor, das von Baschi Dürr beantwortet wurde:

(Bild: Hans-Joerg Walter)

Für Dürr wie für Thüring liegt die Hauptverantwortung für die Geschehnisse bei den Kunstaktivisten. Sie hätten sich vorgängig mit der Polizei austauschen müssen. Wie wirkungsvoll bewilligte Kunst sein kann, fragt der frühere Theatermacher Christoph Meury, der im Publikum sitzt.

(Bild: Hans-Joerg Walter)

Meury nimmt auf eine Aussage von Stadtentwickler Thomas Kessler Bezug. Kessler hatte zuvor die Nutzungskonflikte im öffentlichen Raum angesprochen. Kessler fragte: «Weshalb redet man nicht miteinander in einer Humanistenstadt? Es ist doch ein Witz, wenn einzelne Gesellschaftsgruppen nebeneinander agieren.» 

Was sind die Folgen dieses Einsatzes?

Auf der psychologischen Ebene: Verunsicherung. Und auch Angst. Das ist der Tenor aus dem Publikum. Stellvertretend eine Wortmeldung, die von Dürr erwidert wird:

Tanja Soland teilt diese Sorgen: «Es steckt eine Tendenz dahinter, die Leute einzuschüchtern, das finde ich das Schlimme.» Sie erinnert an einen Präventiveinsatz der Polizei anlässlich einer Rede von Nestlé-CEO Paul Bulcke an der Universität und an die Anti-WEF-Demonstration anfangs 2008, als Dutzende Protestler und auch Unbeteiligte von der Polizei angehalten wurden. Diese zog sogar eine Administrativuntersuchung nach sich.

Der damalige Polizeivorsteher Hanspeter Gass liess das Vorgehen untersuchen und entschuldigte sich öffentlich. Polizeikommandant Roberto Zanulardo musste kurz darauf seinen Posten räumen. «Lehren wurden daraus leider keine gezogen», beklagt Soland. Dürr selber sieht keine Veranlassung für eine interne Untersuchung: «Das macht man nur, wenn offene Fragen bestehen, und das ist hier nicht der Fall.»

Der Grüne Andreas Tereh, der für den Riehener Gemeinderat kandidiert hat, wies darauf hin, was eine solche Behandlung durch die Polizei bei den Betroffenen auslösen kann: «Für viele Menschen muss es traumatisierend sein, wenn sie sich ohne Grund nackt ausziehen müssen.» Ob die zu Unrecht Festgenommenen eine Entschädigung erhalten oder wenigstens eine Entschuldigung, wollten andere wissen. Dürrs Antwort: «Es wäre einfach für mich zu sagen, sorry gell. Doch wir sehen es nicht so, dass etwas krass daneben gegangen ist.»

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«Wie weit darf die Polizei gehen?» – das «TagesWoche Mittendrin» zum Polizeieinsatz auf dem Messeplatz in voller Länge

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