Von der Schreib- zur Textmaschine

Buchreview zu „Textverarbeitung – Eine Mediengeschichte des Computers als Schreibmaschine“ von Till A. Heilmann (2012) // Während ein offenes Netz in Schweizer Cafés immer noch selten anzutreffen ist, ist Wifi aus der Berliner Kaffeekultur nicht mehr wegzudenken. Auch hier bestätigt allerdings die Ausnahme die Regel. Es gibt solche, die ganz bewusst darauf verzichten. Statt Internet […]

Buchreview zu „Textverarbeitung – Eine Mediengeschichte des Computers als Schreibmaschine“ von Till A. Heilmann (2012) //

Während ein offenes Netz in Schweizer Cafés immer noch selten anzutreffen ist, ist Wifi aus der Berliner Kaffeekultur nicht mehr wegzudenken. Auch hier bestätigt allerdings die Ausnahme die Regel. Es gibt solche, die ganz bewusst darauf verzichten. Statt Internet stehen in einem Cafe nicht unweit des Görlitzerparks den Gästen neben vielen Büchern einige wunderschöne alte Schreibmaschinen zur Verfügung. Ermunternd, mit eingespanntem Papier stehen sie bereit, ganz old fashion, als Textverarbeitungsmaschinen zu dienen. Da die Unterwood bereits in Gebrauch ist, entscheide ich mich für den Tisch mit der Remington Portable, sehe, dass es ohnehin keine Steckdose für meinen Laptop in Reichweite hat und denke: Eigentlich gibt es keinen besseren Ort und angemessenere Art, um diese Rezension zu  Till A. Heilmanns Buch „Textverarbeitung – Eine Mediengeschichte des Computers als Schreibmaschine“ zu schreiben und muss dabei auch an Kittler denken, der in Anlehnung an Nietzsche schrieb: „Unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken“.  

(Bild: Cover)

Worum geht es in dem Buch?
Heilmann beschäftigt sich in seinem Buch ausführlich mit der Geschichte unseres alltäglichen, digitalen Schreibwerkzeugs und deckt sorgfältig recherchiert, Schritt für Schritt auf, wie der Computer zum „Werkzeug der Schrift“ wurde.  Obwohl erst 2011 der weltweit letzte bekannter Hersteller (Godrej and Boyce aus Mumbai) die Produktion von mechanischen Schreibmaschinen mangels Nachfrage einstellte, war schon lange davor klar, dass der Personal Computer die mechanische Schreibmaschine komplett vom Markt verdrängen würde. Es sind heute Word und Co., die unser Schreibverhalten bestimmen.
Und da zwischen den Gedanken und dem maschinellen Schreiben eine grundlegende Beziehung besteht, ist es mehr als interessant, Heilmanns „Mediengeschichte des Computers als Schreibmaschine“ zu lesen.  

Wie lautet eine These des Buches?
Die Vorgeschichte des Computers als Schreibmaschine beginnt mit den frühesten Formen der Programmierung von Rechenmaschinen. Lange bevor die Computer bzw. Software dazu programmiert wurden, dass an ihnen Texte geschrieben werden können, mussten Texte für den Computer geschrieben werden, um diesen damit zu programmieren. Historisch gesehen befinden sich also die ersten Computertexte in den Programmen, nach denen die Computer (teilweise noch heute) ihre Befehle ausführen.  

Stichwort „heute“: wie hat sich die Textverarbeitung weiterentwickelt?
Mit dem Aufkommen von Mikroelektronik und PC-Technik entstanden Systeme, die statt Lochstreifen Magnetbänder oder Disketten verwendeten. Erste Bildschirme kamen zum Einsatz. Mit der Verbreitung des Personal Computers in den 1980er und 1990er Jahren hat sich der Bereich der Textverarbeitung schliesslich plötzlich rasant entwickelt. Die Einführung von graphischen Benutzeroberflächen (1984 Apple Macintosh und später Microsoft Windows) und die Möglichkeit Texte am Bildschirm gemäss dem Prinzip WYSIWYG (what you see is what you get) zu gestalten, führte dazu, dass heutige Textverarbeitungsprogramme nicht nur die reine Texterfassung integrieren, sondern auch Grafiken und Tabellen. So ist der Computer als Schreibmaschine heute aus praktische keinem Arbeitsalltag mehr wegzudenken.  

Was sind zentrale Schlagworte?  
Schrift, Computer, digitale Informationstechnik Speicherung, Übertragung, Verbreitung und natürlich Textverarbeitung.
Der Ausdruck „Textverarbeitung“ wurde übrigens in den 1960er Jahren durch den deutschen IBM-Manager Ulrich Steinhilper auf Deutsch geprägt und dann IBM-Intern als „Word Processing“ ins Englische übersetzt.

Gibt es Probleme mit dem Buch?  
Die historische Dimension der Metaphorik der Computer im Speichern, Verarbeiten und Übertragen (Übersetzen) von Schrift wird in diesem Buch in seinem ganzen Umfang und akribisch recherchiert dargestellt. Die Informationsdichte ist so enorm (historische sowie kulturwissenschaftliche Auffächerung der Thematik mit Exkursen zu Informatik, Linguistik und Literaturwissenschaft), dass das Buch keine leichte Lektüre darstellt und aus diesem Grund ein gewisses Vorwissen und nachhaltiges Interesse an der Thematik voraussetzt.  

Warum empfehle ich es trotzdem?
Weil zum einen die Erinnerung an unser Schreib- und Denkwerkzeug notwendig ist und zum anderen das Buch viele spannende Informationen bereit hält, die man quasi im Vorbeigehen mitnehmen kann. Wussten Sie beispielsweise, dass die rund dreissig Millionen katalogisierten Bücher der US-Nationalbibliothek in einfachem Reintextformat digitalisiert ca. 30’000 Gigabyts ausmachen und dies einer Datenmenge entspricht, die heute auf rund einem Dutzend handelsüblichen Festplattenlaufwerke Platz finden würde?  

Woran erinnert mich das Buch?
Computer sind Teil der tragenden Struktur unserer Gesellschaft. Die Textverarbeitung am Computer und die damit verbundene Flexibilität beim Schreiben am Bildschirm ist aus kaum einem Arbeitsalltag mehr wegzudenken. Dabei nehmen wir das Gerät, die Technik dahinter, das Medium an sich, gar nicht wahr. Es tut gut mit Heilmanns Text einen Schritt zurück zu treten, Abstand zu nehmen und zu fragen: wie ist es eigentlich dazu gekommen? Und warum macht es mir solche Mühe auf dieser Remington Portable zu schreiben, die mich genau in diesem Moment zu linearem Schreiben und eben auch Denken zwingt?     

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