Von Folk bis Punk: Alternative Soundtracks fürs Weihnachtsfest

Immer nur «Last Christmas», immer nur Bing Crosby und dieselbe Handvoll Gospelchöre, die in der Adventszeit durch die Hallen touren? Das muss nicht sein. Wir präsentieren alternative Soundtracks zum Fest, von Bright Eyes über Sufjan Stevens bis Bad Religion. Alle Jahre wieder? Nein, es muss nicht immer Bing Crosbys «White Christmas» sein. Vor allem nicht, […]

Immer nur «Last Christmas», immer nur Bing Crosby und dieselbe Handvoll Gospelchöre, die in der Adventszeit durch die Hallen touren? Das muss nicht sein. Wir präsentieren alternative Soundtracks zum Fest, von Bright Eyes über Sufjan Stevens bis Bad Religion.

Alle Jahre wieder? Nein, es muss nicht immer Bing Crosbys «White Christmas» sein. Vor allem nicht, wenn der Schnee fehlt. Wir präsentieren Alternativen für den Soundtrack zum Fest. Von Folk über Country bis Funk. 

1. The Flaming Lips: «Imagene Peise – Atlas Eets Christmas»

«At last, it’s Christmas», sagt der Untertitel dieses Weihnachtsalbums in kryptischer Weise, und genauso verzogen präsentieren sich die Variationen von Christmas Carols der Flaming Lips. Für kolossale Soundwelten hatten die fröhlichen Psychedeliker um Wayne Coyne stets ein gutes Händchen, hier regiert jedoch für einmal der Mann aus der zweiten Reihe: Multiinstrumentalist Steven Drozd. Der hat Standards wie «Silent Night» oder «White Christmas» zu schummriger Barmusik verfremdet, wo einzig ein Jazz-Piano, begleitet von im Hallraum umherirrenden Sitarsprengeln und, das dann doch, Flötenornamenten die altbekannte Melodien neu entdecken. Und weil dazu konstant der Knisterton eines Plattenspielers rauscht, verströmt dieses Album eine ganz besondere Behaglichkeit, zu der man sofort das Kaminfeuer entfachen möchte. In limitierter Auflage und in anonymisierter Form übrigens bereits vor sieben Jahren kurz zu haben und seit wenigen Wochen neu aufgelegt, ist «Imagene Peise – Atlas Eets Christmas» dank der ruhigen Gangart das Kontrastprogramm zur Feststimmung. 

2. Diverse: «Christmas Rules»

In der Feststimmung darf man sich daran erinnern, wofür das Weihnachtsfest ursprünglich steht: die Verkündung der frohen Botschaft von der Erlösung vom Leid. Ausgerechnet bei den Indiemusikern hörte man vor zwei Jahren davon noch einen Nachhall.

Die Kompilation «Christmas Rules» beinhaltet Neuinterpretationen alter Christkindfanfaren, die auch ohne Schnee für Gänsehaut sorgen. Rufus Wainwright singt im Duett mit Sharon Van Etten das kuschlige «Baby It’s Cold Outside» mit seinem gewohnten markigen Timbre, ohne die Grenzen der Behaglichkeit zu überschreiten. Das Zartfolk-Duo The Civil Wars schmachtet «I Hear The Bells On Christmas» wie einen Klagegesang aus den Gräben der Gefallenen, Calexico überführen «Green Grows The Holly» sanft und bedächtig in ihr TexMex-Spektrum, wo sehnsüchtig die Trompeten schmalzen. Und Holly Golightly singt «That’s What I Want For Christmas» mit einer derart rehäugigen Unschuld, dass man Ochs und Esel scharren hört.

Ausreisser sind «Wonderful Christmastime» von The Shins mit Trällerchor, knackigem Bass und kindlich-fröhlichen Melodien sowie der in Sachen Alter und Renommée reichlich aus dem Rahmen fallende Paul McCartney, der den «Christmas Song» als samtweiche Jazzballade mit Piano und Streichelbeat intoniert. Für den Höhepunkt sorgen indes die Heartless Bastards, die «Blue Christmas» als verschleppte Countryballade mit Schwanengesang in schummriger Melancholie ertränken.

3. Bright Eyes: «A Christmas Album»

A propos Indie-Musiker, a propos Zartfolk: Conor Oberst, einer der brüchigsten Bänkelsänger des amerikanischen Alternative Folk, hat vor wenigen Jahren ein ganzes Album voller Weihnachtslieder veröffentlicht. Nach «Merry Christmas» klingt das nicht unbedingt, was Oberst und seine Hausband Bright Eyes mit einer handvoll traditionellen englischsprachigen Weihnachtsliedern anstellt. «A Christmas Album» ist jedoch gerade wegen dem porösen Klang ein willkommenes Weihnachtsalbum.

Oberst verleiht dem kanonischen Liedgut eine kontemplative Stimmung, mit der sich die Heiligen Tage auch einsam durchstehen lassen. Bemerkenswert ist das langsame «Little Drummer Boy» mit seinen knirschenden Elektrodrums und der eiernden Tröte, dröhnend beschwingt der Gassenhauer «God Rest Ye Merry Gentlemen», und in «Away In A Manger» singen die Engel so langsam und zart wie fallender Schnee.

Die Frohe Botschaft kommt hier, wie man sie im Weihnachtsgedröhne selten hört, daher: auf sachten und samtenen Pfoten. Bright Eyes reihen sich damit in eine Tradition des Genres ein, der sich schon ganz andere Grössen ergeben haben: Bob Dylan veröffentlichte vor fünf Jahren das überraschende wie beschwingte «Christmas In The Heart», und Johnny Cash machte zeitlebens keinen Hehl aus seinem Glauben und tat ihn auf einer ganzen Reihe von Weihnachtsplatten und in dazugehörigen Shows kund.

Das wohl umfassendste und ernsthafteste Projekt aus dieser Eckte stammt hingegen von Sufjan Stevens: Der hat von 2001 bis 2006 jeweils zur Adventszeit ein paar Freunde im Studio versammelt, um von «Lo! How a Rose E’er Blooming» über den unverzichtbaren «Little Drummer Boy» bis «O Come, O Come Emmanuel» nahezu jeden Christmas Carol einzuspielen. «Songs For Christmas» heisst das Projekt, das am Ende komplett als 5-CD-Box veröffentlicht wurde. Da hat’s neben all dem Liebreiz auch Platz für die eine oder andere Bissigkeit, die daran erinnert, dass sich besonders am Fest der Liebe zwischenmenschliche Gräben öffnen: «Did I Make You Cry on Christmas? (Well, You Deserved It!)», heisst es in einer seiner Eigenkompositionen.

4. Bad Religion: «Christmas Songs»

Punk unterm Baum, warum auch nicht. Bitterböse war der Weihnachtsgruss der Ramones: «Merry Christmas (I Don’t Want To Fight Tonight)». Die Toten Hosen haben – unter ihrem festlichen Namen Die Roten Rosen – vor 15 Jahren den Festbankrock «Wir warten aufs Christkind» abgeliefert. Deutschlands Vorzeigepunks schrammen hier mehrmals knapp am Trinklied vorbei (was für Weihnachten nicht das Abwegigste ist), aber die Verschränkung von heiliger Würde und kalkulierter Prollerei bringt ein paar Momente des absurden Textwitzes hervor. «Tröst mir mein Gemüte / o puer optime / und reich mir eine Tüte / princeps gloriae», reimen sich die Düsseldorfer in «In Dulci Jubilo» zusammen. Hohoho.

Ernsthafter gingen es die britischen Bad Religion vor einem Jahr an. Kurz vor Weihnachten veröffentlichten sie ihre «Christmas Songs» und versuchten gar nicht erst, lange an ihnen herumzuwerken. Gitarre an, Tempo hoch, fertig. Wahnsinnig originell ist das nicht, doch dazu ist weder Weihnachten noch Punk gedacht. Was Bad Religion so glänzend können – die Koppelung von energischem Punkrock mit der Hymnik opulenter Chorgesänge –, passte kaum je so gut wie bei diesen Hymnen.

5. James Brown: «Santa Claus, Go Straight To Christmas»

Auch nach 50 Jahren steht Ella Fitzgeralds Swinging Christmas für ein herzerwärmendes Beispiel, was man mit den alten Weihnachtsliedern alles anstellen kann. Mit welcher Ernsthaftigkeit und Neugier die Lieder hier von einer der grössten Stimmen des US-Jazz behandelt werden, sorgt noch heute für Begeisterung – aber damals war das keine Seltenheit. Die grossen Stimmen das amerikanischen Jazz, Soul, Rock’n’Roll und Swing der 50er- und 60er-Jahre haben alle mindestens einmal ein Weihnachtsalbum veröffentlicht. Dazu gehören Prachtsstücke wie Frank Sinatras «A Jolly Christmas», das schön schummrige «Christmas Album» von Elvis, und auch der «Hardest Working Man» des Showbusiness, James Brown, hat in den späten Sixties Weihnachtsplatten veröffentlicht (hier die Compilation dazu) – allerdings nichts für den Kirchenchor, sondern feurigen Funk, wachsschmelzende Balladen, persönliche Reflexionen darüber, was Weihnachten zu bedeuten habe, und Kommentare zu sozialen Themen, die Brown kaum je aus den Augen liess: «Santa Claus, Go Straight to the Ghetto». Eines der besten, mit Sicherheit aber engagiertesten und energetischsten Weihnachtsalben.

6. New Wave Xmas: «Just Can’t Get Enough»

Eine Kompilation der kuriosen Art. «New Wave Xmas» dehnt das Genre etwas gar grosszügig aus, hat so jedoch ein paar höchst erwähnenswerte Perlen versammelt. Den Throwing Muses hört man mit Schaudern hinterher, wie sie mit «Santa Claus» abrechnen, das Duett zwischen David Bowie und Bing Crosby gehört zu den wohl bizarrsten Fundstücken in der langen Geschichte des Weihnachtslieds, dazu gibts sagenhaft rührende Balladen von den Pogues und den Pretenders sowie lustige Spieldosenmusik von Los Lobos. Darunter finden sich auch aufrechte Hits, zum Beispiel diesen völlig vergessenen Synthierock «One Christmas Catalogue» von Captian Sensible.

7. Low: «Christmas»

Zum Abschluss asketische Besinnlichkeit: der Slowcore von Low, einem Trio aus Minnesota. Seit zwanzig Jahren liefern sie mit kargsten Mitteln, einem feinen Gespür für Langsamkeit und Leere und einer entfernten stilistischen Verortung im Folk, Shoegaze und Post-Rock Musik ab, die an Zärtlichkeit und Zerbrechlichkeit seinesgleichen sucht.

Dieser Zeitlupenrock hat kaum die Statur, für überbordende Feierstimmung zu sorgen, aber wem an diesen Tagen nach innerem Rückzug und Entschleunigung ist, dem sei «Christmas» ans Herz gelegt. Abgesehen von, ausgerechnet, «Silent Night», dem das Trio kaum eine eigene Note verleiht, verströmen ihre Titel wie «Blue Christmas» oder «Just Like Christmas» eine Behaglichkeit, die dem dröhnen Festtagsstress die Luft rauslässt. Auflegen, einsinken, und zum neuen Jahr wieder rauskriechen.

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