Vor 40 Jahren ersteigerte ein Fiat-Arbeiter im Turiner Fundbüro zwei scheinbar wertlose Gemälde. Erst jetzt wurde er legitimer Eigentümer weltberühmter Kunstwerke.
Ein Wasserturm, ein Hochhaus, eine Tramhaltestelle. Das ist alles, was heute das unscheinbare Industriegebäude in der Turiner Via Sacchi Nummer 61 gleich hinter dem Bahnhof Porta Nuova umgibt. Hier, wo einst das Fundbüro der italienischen Bahn in Turin zu Hause war, begann vor knapp 40 Jahren die unglaubliche Geschichte des Signor Nicolò aus Syrakus. Einen Nachnamen hat der Mann auch, er will ihn aber aus gutem Grund nicht nennen. Der inzwischen pensionierte Fabrikarbeiter ist seit Kurzem Millionär.
In den beiden einzigen Interviews, die Signor Nicolò in der italienischen Presse gegeben hat, erzählt er seine Geschichte so: Es ist das Jahr 1975 in Turin, die Frühlingssonne scheint. Die Nachtschicht im Fiat-Werk Mirafiori ist zu Ende. Obwohl er todmüde ist, will er auf keinen Fall die für diesen Morgen angekündigte Auktion im Fundbüro verpassen. Intuition oder Schicksal? Signor Nicolò weiss es nicht, doch an diesem Tag begegnet ihm das Glück. «Ich habe die Kunst immer schon geliebt», sagt er.
«Die sind Müll»
Unter anderem sind zwei Ölgemälde bei der Auktion ausgestellt. «Wahrscheinlich 19. Jahrhundert. Unbekannte Künstler. Wertlos», so werden die beiden Bilder präsentiert. «Die sind Müll», sagt der Auktionator und blickt sich nach einem Bieter um. Niemand meldet sich. Bevor die Gemälde unwiederbringlich entsorgt werden, fasst sich Signor Nicolò ein Herz. Er legt noch einmal 500 Lire auf das Ausgangsgebot. Ein anderer Interessent zieht nach, Signor Nicolò geht drüber. Beide ahnen nicht, um welchen Schatz sie konkurrieren. Für 45’000 Lire bekommt der Fiat-Arbeiter schliesslich den Zuschlag. Damals entspricht das immerhin knapp einem Viertel seines Monatslohns, heute sind es nicht einmal 25 Euro.
Die Gemälde wurden 1970 am Londoner Regents Park gestohlen. Ein paar Jahre später tauchten die Bilder in einem Zug von Paris nach Turin auf und landeten im Fundbüro.
Dass es sich um Werke weltberühmter Maler handelt, weiss damals niemand: Das Stilleben mit Obst auf einem Tisch und kleinem Hund («Fruits sur une table ou nature au petit chien», 1889) stammt von Paul Gauguin. Das andere Bild, auf dem eine Frau mit zwei Lehnstühlen zu sehen ist («La femme aux deux fauteuils») von Pierre Bonnard (1867–1947). Experten schätzten den Wert des Gauguins auf bis zu 35 Millionen Euro, der Bonnard ist 600’000 Euro wert.
40 Jahre lang sei er im Morgengrauen nach der Nachtschicht bei Fiat nach Hause gekommen, sagt der heute 70 Jahre alte Signor Nicolò. Erschöpft habe er sich in den Sessel im Wohnzimmer fallen lassen und auf sein Lieblings-Gemälde, das Stilleben mit Tisch und Hund, geblickt. «Wer hätte je gedacht, dass es von Gauguin stammt», sagte der pensionierte Werksarbeiter und Kunstliebhaber jetzt in einem Interview mit «La Repubblica». Erst vor wenigen Tagen entschied ein Richter, dass Signor Nicolò der rechtmässige Eigentümer der beiden Gemälde ist. Er habe die Bilder vor knapp 40 Jahren in gutem Glauben erworben.
Die goldene Nase von Nicolò junior
Die Gemälde wurden 1970 am Londoner Regents Park gestohlen: Drei Männer klingeln an der Wohnungstür einer vermögenden Dame, der Tochter eines der beiden Gründer des Londoner Kaufhauses Marks & Spencer. Die Haushälterin macht die Türe auf, die Männer stellen sich als Alarmanlagen-Techniker vor und bitten um eine Tasse Tee. Als die Frau aus der Küche zurückkommt, sind die drei Diebe verschwunden und mit ihnen zwei Kunstwerke, von Gauguin und Bonnard, 1961 bei Sothebys ersteigert. Ein paar Jahre später werden die Bilder unter ungeklärten Umständen in einem Zug von Paris nach Turin liegen gelassen und als wertlos eingeschätzt. Sie landen im Fundbüro in der Turiner Via Sacchi. Die Londoner Eigentümerin ist längst gestorben, Erben hat sie nicht. Dann ersteigert Signor Nicolò die scheinbar wertlosen Ölbilder.
«Nicht einmal die Nachbarn haben die Bilder bemerkt, niemand hat heute noch Augen für die schönen Dinge.»
Erst nach Jahren, die Familie ist vom Norden wieder nach Syrakus auf Sizilien zurückgekehrt, beginnt sich auch Signor Nicolòs Sohn, ein Architekturstudent, für die beiden Werke zu interessieren. Als ihm ein Buch über Pierre Bonnard in die Hände gerät, fallen ihm Ähnlichkeiten zum Bild im Wohnzimmer zu Hause auf. Der Gauguin ist nicht signiert, aber der Sohn stellt Ähnlichkeiten fest. Die Familie wendet sich an mehrere Kunstsachverständige. «Sie sagten uns, die Bilder seien wertlos, die Künstler unbekannt», berichtet Signor Nicolò.
Auch die Experten einer Soprintendenza, einer der staatlichen Kulturbehörden in Italien, blocken die neugierig gewordene Familie ab. «Sie sagten uns, wir sollten uns nichts einbilden und hätten keine Zeit zu verlieren», sagt Signor Nicolò. Er wendet sich schliesslich an die Kunstfahnder der italienischen Carabinieri. In Zusammenarbeit mit dem Kulturministerium bestätigen sie schliesslich den Verdacht, dass es sich um die kostbaren Werke weltberühmter Maler handelt. Im April werden die Werke in Rom der Öffentlichkeit vorgestellt. «Eine unglaubliche Geschichte und wunderbare Entdeckung», sagt damals der italienische Kultusminister Dario Franceschini.
Endlich Hochzeitsreise machen
Vor Kurzem riefen die Carabinieri in Syrakus an und sagten, Signor Nicolò könne seine Bilder wieder abholen. Für ein paar Tage habe er die Gemälde wieder ins Wohnzimmer gehängt, erzählt der 70 Jahre alte Pensionär. «Nicht einmal die Nachbarn haben die Bilder bemerkt, niemand hat heute noch Augen für die schönen Dinge», sagt er. Nun kümmern sich Sachverständige um die Aufbewahrung der Werke. Private Sammler hätten Angebote für den Gauguin abgegeben, er wird wohl bald verkauft sein. Den Bonnard will Signor Nicolò behalten. Er sei nun auf der Suche nach jemandem, der die Bilder ausstellen wolle.
Was er mit den vielen Millionen aus dem Verkauf des Gauguins machen werde? Ideen hat Signor Nicolò verschiedene. Aber gewiss wird er erst einmal den Lebenswunsch seiner Frau nach einer Hochzeitsreise erfüllen. Von Triest nach Wien. 500 Kilometer ins Glück.