Den kommenden WM-Rennen blickt Hippolyt Kempf mit Freude entgegen. Im sda-Interview in Lahti äussert er sich zur Entwicklung von Nathalie von Siebenthal und über Fehler während der Saisonvorbereitung.
Hippolyt Kempf, teilen Sie die Ansicht, dass Sie manchmal etwas zu optimistisch, zu euphorisch sind?
Kempf: «Meine Erwartungen sind immer sehr hoch. In den meisten Fällen werde ich nicht enttäuscht. Ich sehe deshalb nicht ein, warum ich diese Haltung ändern soll.»
Besser verliefen diese und die vergangene Saison allerdings nicht im Vergleich zu anderen Jahren – obwohl Sie beim Start jeweils sehr euphorisch wirkten. Entgegen Ihren Erwartungen war beispielsweise Dario Cologna zu Beginn der Saison nicht auf einem sehr hohen Niveau.
«Es gilt festzustellen: Wir sind hier in Lahti bei allen Entscheidungen dabei, bei allen Männer- und Frauen-Rennen. Das gab es vor sechs Jahren nicht. Nur weil das Zugpferd (Cologna – Red.) nicht immer auf dem Podest ist, heisst dies noch lange nicht, dass wir in der Breite nicht Schritt für Schritt weiterkommen. Selbstverständlich gibt es aber Dinge, mit denen ich nicht zufrieden bin. Aber im Grundsatz bin ich ein sehr optimistischer Mensch, sonst muss man nicht im Sport einsteigen. Die Karten werden immer neu gemischt.»
Werden die Leistungen des Schweizer Langlauf-Teams zu wenig gewürdigt?
«Das sehe ich nicht so, ich spüre viel Respekt. Man muss aber auf dem Boden bleiben. Die Situation vor ein paar Jahren, als Dario Cologna fast an jedem Wochenende aufs Podest gelaufen war, war ausserordentlich.»
Sie sagten, Sie seien ein sehr optimistischer Mensch. Mit Rang 4 von Nathalie von Siebenthal im WM-Skiathlon haben jedoch wohl auch Sie kaum gerechnet.
«Nathalie lief letztes Jahr im Weltcup hier schon sehr gut, wir wussten dass ihr die Strecke liegt. Entsprechend waren wir schon zuversichtlich. Ich habe sie in den Top 10 gesehen. Dass sie aber direkt neben dem Podest steht, ist eine schöne Überraschung.»
Von Siebenthal galt oder gilt als Rohdiamant, der noch geschliffen werden muss. Wie viel Potenzial schlummert noch in ihr?
«Ich bin extrem zufrieden, dass sie den 6. Rang von der WM 2015 in Falun bestätigen konnte. Denn der Druck war da, das hat man gemerkt. Jenes Resultat von vor zwei Jahren kam aufgrund der äusseren Umstände glücklich zustande. Hier hatten wir am Samstag ein ganz normales Rennen, keine speziellen Bedingungen. Sie ist jetzt in der obersten Liga angekommen. Für mich gehört Nathalie nun zur erweiterten Weltspitze, zu den Läuferinnen im erweiterten Favoritenkreis.»
Die Erwartungen werden nun nicht geringer. Am kommenden Samstag findet das Rennen über 30 km Skating statt. Darf von einer Medaille geträumt werden?
«Träumen darf man immer. Wenn jemand mal Feuer gefangen hat an einer Weltmeisterschaft, ist dies ein gutes Zeichen. Nathalie von Siebenthal gehört für mich zu denen, die um die Medaillen kämpfen werden. Ob es dann reicht, ist eine andere Geschichte. Aber: Sie ist eine heisse Anwärterin auf eine Medaille. Nach dem 4. Rang im Skiathlon kann man das sagen.»
In welchen Bereichen konnte sie in den vergangenen Monaten Fortschritte erzielen?
«Sie kann bei hohen Tempi besser mitgehen. Sie läuft im Klassisch-Stil technisch stabiler, ruhiger. Entsprechend hat sie weniger Kraftverlust.»
In Falun sagten Sie, Sie hätten noch nie eine so gut funktionierende Schweizer Mannschaft erlebt. Wie erleben Sie das Team zwei Jahre später in Lahti?
«Die Abläufe im Wettkampf, die gesamte Coaching-Maschinerie – das ist alles auf sehr hohem Niveau. Es ist sehr ruhig im Coaching, im Bereich Skiservice und Physiotherapie. Hier haben wir wenig Verbesserungspotenzial. Die Fehler haben wir im Sommer gemacht. Hätten wir damals nämlich keine Fehler gemacht, hätte Cologna den Skiathlon bestreiten können.»
Welche Fehler sprechen Sie an?
«Im Service-Bereich sind wir gut aufgestellt. Die Leute im Trainerbereich haben eine hohe Sensibilität für die Formsteuerung und die Trainingskomposition. Aber was sich gezeigt hat ist, dass wir zu wenige Ressourcen im physiotherapeutischen Bereich haben. Hier arbeiten unsere Leute zwar sehr gut, aber es fehlt die Rundumbetreuung. Rein inhaltlich ist alles tipptopp. Aber zwischen den Trainingskursen müssen wir die Ressourcen betreffend Physiotherapie hochfahren.»
Zumal im nächsten Winter Olympische Spiele anstehen.
«Cologna nicht am Start: Ein solches Szenario wäre für Olympia ein Super-GAU. Das können wir uns nicht leisten. Wenn er nun in Lahti am Start sein wird, wird er stark laufen und seine Chance nutzen. Aber er hat zwei Chancen verpasst. Wir haben zu viele Athleten, die zu anfällig unterwegs sind. Nicht betreffend Form, aber körperlich. Da müssen wir über die Bücher. Aber ich möchte nochmals betonen: Die Arbeit, die im Physio-Bereich gemacht wird, ist gut. Es ist eine Ressourcenfrage. Wir haben investiert im Servicebereich, beim Trainerteam, bei der Infrastruktur. Im physiotherapeutischen Bereichen haben wir diesen Schritt noch nicht gemacht. Wir müssen zwischen den Trainingskursen noch näher am Athlet sein.»