Vor dem Kawumm: Erinnerungen an bisherige Weltuntergänge

Wenn Sie das hier in 48 Stunden noch lesen können, ist es wieder nichts geworden mit dem Ende der Welt. Doch seien Sie getröstet: Das mit dem ereignislosen Weltuntergang hatten wir schon mehrmals, wie unser Blick zurück zeigt. Wenn Sie das hier in 48 Stunden noch lesen können, ist es wieder nichts geworden mit dem […]

Schafft es alle 76 Jahre, manchen Menschen Todesangst einzujagen: Der Komet Halley.

Wenn Sie das hier in 48 Stunden noch lesen können, ist es wieder nichts geworden mit dem Ende der Welt. Doch seien Sie getröstet: Das mit dem ereignislosen Weltuntergang hatten wir schon mehrmals, wie unser Blick zurück zeigt.

Wenn Sie das hier in 48 Stunden noch lesen können, ist es wieder nichts geworden mit dem Ende der Welt. Ob der Maya-Kalender auch für uns was bereit hält, die wir nichts wissen von präkolumbianischen Kulturen und spirituell aufgeladenen, sich über Jahrtausende erstreckenden Kalenderzyklen? Wir werden es bald erfahren. Sollte sich die Erde doch einfach weiter drehen, und der Mensch in denselben geistigen Niederungen umhersumpfen, seien Sie getröstet: Das mit dem ereignislosen Weltuntergang hatten wir schon mehrmals.

31.12.999: Papst Silvester II.

Silvester II. kam schon als ausserordentliche Gestalt auf den Kirchenthron. Geboren als Gerbert von Reims war er der erste Franzose auf dem Stuhl des Fischers, ausserdem studierter Mathematiker und dadurch im Rang eines Gelehrten. Selten genug für das Papsttum vor der Jahrtausendwende. Als er kurz davor, im April 999, das Amt übernahm, begann der Mathematiker mit der Bibel zu rechnen. Und entdeckte Fürchterliches in der Johannes-Offenbarung: «Wenn die tausend Jahre vollendet sind, wird der Satan aus seinem Gefängnis freigelassen werden. Er wird ausziehen, um die Völker an den vier Ecken der Erde zu verführen und sie zusammenzuholen für den Kampf; sie sind so zahlreich wie die Sandkörner am Meer.» Nur wenige Monate schienen ihm noch zu bleiben, und als er zu Silvester 999 die Eucharistie feierte, soll er laut Überlieferung zitternd das Ritual vorbereitet haben. In Erwartung, dass mit dem kultischen Wandel von Brot und Wein zu Leib und Blut Jesu zugleich der Wandel der Welt eintrete.

Dass es anders kam, soll Silvester II. mit seinen zahlreichen Gebeten erklärt haben, Unheil hat er mit der apokalyptischen Prognose dennoch angerichtet. Viele brachten sich um, verliessen ihre Arbeitsstellen und verschenkten ihre Güter, und wer der Schwarzen Magie verdächtigt war, wurde getötet. Silvester II. war nicht der erste, der aus der Bibel das Weltende heraus las. Ein paar Jahrhunderte vor ihm orakelte Hippolytus, Heiliger und Gegenpapst, die Welt müsse laut Heiliger Schrift 5500 Jahre vor Jesu Geburt geschaffen worden sein und erreiche nicht mehr als das biblisch vermerkte Alter von 6000 Jahren. Und sogar Isaac Newton, britischer Universalgelehrter und Ahnherr der mechanischen Physik, suchte im von Apokalyptikfans besonders geliebten Prophetenbuch Daniel nach konkreten Hinweisen auf das Ende der Dinge und die Wiederkunft des Messias.

19. Mai 1910: der Halley-Komet

Gasmasken und Pillen gegen Kometengase waren sichere Verkaufsschlager im Frühling 1910: Halley kam wieder. Durchschnittlich alle 76 Jahre rast der Komet, benannt nach dem Astrophysiker Edmond Halley, auf seiner Umlaufbahn so nahe an der Erde vorbei, dass er vom blossen Auge sichtbar ist. Beschrieben hatten ihn früher schon Kepler und der Renaissanceastronom Petrus Apianus, erwähnt wurde er erstmals von den Babyloniern und bildlich festgehalten auf einem normannischen Wandteppich des 11. Jahrhunderts. Der Komet ist also ein alter Bekannter für die Menschheit – und dennoch fürchtete man 1910, er werde die Welt verheeren. Ein Astronomen-Team aus Chicago hatte im Schweif das Giftgas Diocyn entdeckt. Die Angst war gross, dass dieses Gas durch die besondere Erdnähe des Kometen in die Erdatmosphäre dringe und den Sauerstoff und somit die Menschheit vergifte. Soweit kam es nicht. Nach neun Tagen zog Halley wieder ab. Aussergewöhnliche astronomische Erscheinungen boten bereits in den Jahrhunderten davor Anlass dazu, die Apokalypse zu erahnen. 1186 sollen die Planeten des Sonnensystems im Sternbild der Waage vereint gewesen sein – ein sicheres Zeichen? Auf alle Fälle liess der byzantinische Kaiser Isaak II. sich seine Fenster zumauern und der Erzbischof von Canterbury ordnete ein dreitägiges Fasten an.

1914/1925/1975: Zeugen Jehovas

Einen Peter-und-der-Wolf-Effekt erlitten die Zeugen Jehovas in ihrer Untergangsverkündungsmanie: Dreimal sprachen sie die Prophezeiung aus, dreimal kam die Endzeit nicht, seither wird das Datum offen gehalten. Ihr Gründer Charles Taze Russell errechnete aus der Bibel, dass seit Adam bis zur Zerstörung des Jerusalemer Tempels sieben Zeitalter vergangen seien, sieben weitere seien danach angebrochen, die in absehbarer Zeit mit den «letzten Tagen» enden und das Reich Gottes verwirklichen müssten – nach einer «Schlacht von Harmageddon» zwischen Gott und dem Teufel, in den die Menschheit vernichtend mit rein gezogen werde. Alle – ausser den Zeugen, die seit langem der Gewalt abgeschworen hatten. 1914 ging vorüber, Russel starb, sein Nachfolger deutete das Schicksalsjahr als Heilsanbruch im Himmel um, der sich auf Erden erst 1925 verwirklichen werde, und zuletzt wurde 1975 als endgültiges Wendejahr erkoren: dann solle aufgrund einer «zuverlässigen Bibelchronologie», so schrieb der «Wachturm», das 6000 Jahre währende Erdenalter enden und das Tausendjährige Reich beginnen. Auch dieser Termin verstrich ohne Neuschöpfung, und die Bewegung stürzte in eine Krise. Sie verlor in den Folgejahren einen Grossteil ihrer Mitglieder. Seither hat sie sich stabilisiert – und verzichtet auf den konkret datierten Weltuntergang.

5. Oktober 1994: Sonnentempler

Der Fall schockte die Schweiz: In Cheiry bei Fribourg und in Granges sur-Salvan im Wallis fand die Polizei 1994 die Leichen von 53 Mitgliedern der Sonnentempler-Sekte, entweder vergiftet, erschossen oder durch Selbstmord getötet. Unter der Leitung ihres Sektenführers, dem Franzosen Joseph di Mambro, entwickelte die Sekte (eine Abspaltung des weltweit aktiven Rosenkreuzerordens Amorc) eine radikale Apokalyptik. Die Führer umgaben sich mit einem gottähnlichen Nimbus und bezeichneten sich als Wiedergeburten ägyptischer Gottheiten, pressten ihre Anhänger aus und bestimmten das Sozialleben der Sekte konsequent. Je näher der Jahrtausendwechsel kam, desto stärker wurde die endzeitliche Orientierung: Gründer di Mambro behauptete von seiner Tochter, die völlig isoliert aufwuchs, eine Wiederkunft des Messias zu sein, die für die Sektenmitglieder ein neues Zeitalter einläute: nach einem als Übertritt bezeichneten kollektiven Selbstmord würde der Orden im Sternbild Sirius neu geboren werden und eine neue Menschheit begründen. Nach den Morden in der Schweiz starben bis 1997 noch 23 weitere Personen.

Die Sonnentempler waren nicht die einzige Sekte, die die Apokalypse mittels Massenmord auf brutale Weise herbeizwingen wollte. 1978 brachte sich der Führer des Peoples Temples, der Amerikaner Jim Jones, zusammen mit über 900 Mitgliedern seiner Sekte im Urwald von Guyana um. Am 14. November 1993 wollte die Ukrainerin Marine Zwigun, selbsternannte Wiedergängerin von Jesus und Maria in Personalunion, sich mit 800 Anhängerin in der Kiewer Sophienkathedrale zwecks Läuterung in Brand stecken, um für die Apokalypse gereinigt zu sein. Und im März 2000 versammelten die Führer der «Bewegung für die Wiederherstellung der Zehn Gebote» ihre 530 Anhänger in einer Kirche, um sie für den Weltuntergang vorzubereiten. Weil der nicht eintraf und einige Anhänger sich beklagten, sie wollten ihr gestiftetes Geld zurück, kauften die Anführer laut Polizeiuntersuchungen Plastiksprengstoff und jagten die Kirche in die Luft. Keiner bleib am Leben.

1.1.2000: der Millenium-Bug Y2K

Das sogenannte «Jahr-2000-Problem» kam weder aus dem All noch aus der Bibel oder aus einem durchgebrannten apokalyptischen Hirn. Dennoch massen ihm vor dem Milleniumswechsel manche eine derartige Gefährlichkeit zu, dass es die Welt lahmlegen könnte – durch einen globalen Computerabsturz. Als die Computer laufen lernten, war Speicherplatz knapp und teuer, und die Programmierer sparten, wo sie konnten. So verzichtete man in der Speicherung von Jahreszahlen auf die beiden ersten Ziffern, und weil sich diese Praxis einbürgerte, schien das Drama vorbestimmt: Prophezeit wurden nicht nur Rechenprobleme, sondern Systemzusammenbrüche in der zivilen und militärischen Sicherheit, bei Banken, Kraftwerken, dem Verkehr.

Folge: Börsencrash, Verkehrschaos, Weltwirtschaftskrise, wild gewordene Atomraketen. Sie alle funktionieren mittels Computersystemen. Das Problem wurde, glücklicherweise, weit im Vorfeld erkannt, Systeme umgerüstet und Simulationen für den Jahrtausendwechsel erstellt. Passiert ist wenig: in Australien fielen die Busticketsbestätigungsautomaten aus, in Italien verschickte die Telekom Rechnungen für die die ersten Monate des Jahres 1900, in Südkorea lud ein Bezirksgericht Personen zu einer Verhandlung am 4. Januar 1900 ein. Die Wirtschaftskrise aber, die kam dann ein paar Jahre später.

10. September 2008: das Schwarze Loch unter Genf

Sollte der Weltuntergang unter dem Boden von Genf beginnen? Am 10. September 2008 eröffnete das Kernforschungszentrum CERN den Teilchenbeschleuniger Large Hadron Collider (LHC) unter der Erde der Calvinstadt, eine kreisförmige Anlage mit 26 Kilometer Umfang. Der Riesentunnel wurde, salopp gesagt, zu einem Zweck gebaut: Protonen auf Lichtgeschwindigkeit zu beschleunigen, aufeinander prallen zu lassen – und prüfen, was passiert. Von den Experimenten versprach man sich Erkenntnisse über den Big Bang und die Entstehung des Alls. Manche fürchteten hingegen, das Experiment werde ein Schwarzes Loch aufreissen, das zuerst das Cern, dann Genf, dann die ganze Welt verschlinge. Die Gerichte mussten sich mit Verbotsgesuchen herumschlagen, und der «Blick» warnte: «Die Welt könnte im Schwarzen Loch versinken! Wer übernimmt dafür die Verantwortung?» Das Experiment wurde dennoch gestartet, die Protonen schossen ab dem 10. September neun Tage lang durch den Ring. Das einzige, was zu Schaden kam, war der LHC selbst: die Kühlanlage fiel aus, der Beschleuniger wurde für ein Jahr stillgelegt.

Ausser Konkurenz: Noah

Unter all den selbsternannten Propheten, verblendeten Apokalyptikern, zivilisationserkrankten Verführern und charismatischen Rattenfängern sticht einer heraus: Noah. Auch Noah wurde der Weltuntergang, wie so viele nach ihm ebenfalls behaupteten, von höchster Stelle eröffnet. «Ich will die Menschen, die ich geschaffen habe, vertilgen von der Erde, vom Menschen an bis hin zum Vieh und bis zum Gewürm und bis zu den Vögeln unter dem Himmel; denn es reut mich, dass ich sie gemacht habe», spricht Gott in der Genesis. Dass Noah die Warnung weitergab, ist zwar nicht überliefert, aber Anhänger sammelte er dennoch: Tiere.

Seine Arche musste seinen Mitmenschen Warnung genug sein, doch die Törichten schlugen die Zeichen in den Wind, wovon Mani Matter ein paar tausend Jahre später noch kündete, lachten ihn aus und verweigertem ihm die Nachfolge. Bis tatsächlich die grosse Flut und das Ende über sie hereinbrach. Alles ging unter, ausser Noah, seine Sippe und sein schiffsgrosser Stall, mit dem er auf dem Ararat strandete und die Menschheit nochmals von Null beginnen liess. Ob danach wirklich die grosse Erleuchtung über sie gekommen ist, lässt sich aus der Distanz nur schwer verifizieren. Die Quellen belegen die These eher nicht.

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