Auf den Philippinen liegen die Nerven blank. Weil die Versorgung mit Hilfsgütern nur schleppend vorangeht, wächst die Verzweiflung. Acht Menschen sterben beim Sturm auf ein Reisdepot.
Die Ohnmacht der hungernden Taifun-Opfer auf den Philippinen und die schwierige Versorgungslage schlagen in Chaos um. Auf der schlimm verwüsteten Insel Leyte stürmten Tausende in Alangalang ein Depot mit Reissäcken. Dabei stürzte eine Wand des Gebäudes ein und erschlug acht Menschen, wie der Sprecher der nationalen Nahrungsmittelbehörde, Rex Estoperez, am Mittwoch berichtete.
Die Sicherheitskräfte, die das Reislager bewachten, seien gegenüber dem Ansturm machtlos gewesen, sagte Estoperez. Die Menschen schleppten demnach 129’000 Zentnersäcke Reis weg, von denen allerdings nur 33’000 Säcke essbaren Reis enthielten und die übrigen Saatgut. Schiffe und Laster mit Nahrungsmitteln würden nun strikt bewacht, um weitere Plünderungen zu verhindern, sagte der Sprecher.
In der ebenfalls auf Leyte gelegenen Stadt Tacloban wurden hunderte Soldaten stationiert und eine nächtliche Ausgangssperre verhängt. Die Polizei stoppte am Mittwoch nach einer Schiesserei eine Massenbestattung von Sturmopfern, wie Stadtpräsident Alfred Romualdez sagte.
Die offizielle Zahl der Toten stieg nach Angaben der Katastrophenschutzbehörde auf 2344 – dies waren aber nur die bestätigten Opfer. Schätzungen machte die Behörde nicht.
Warten auf Hilfe
Viele Menschen wurden auch fast eine Woche nach Durchzug des gewaltigen Taifuns «Haiyan» weiter unter den Trümmern vermutet. Staatspräsident Benigno Aquino hatte in einem Interview gesagt, er gehe von bis zu 2500 Toten aus.
Auch am fünften Tag nach dem Taifun in dem Inselstaat warteten Hunderttausende auf Essen und Trinkwasser. 600’000 Menschen verloren nach Angaben der Katastrophenbehörde ihre Bleibe und sind dringend auf Hilfe angewiesen.
Das Problem ist nach wie vor, Lebensmittel und Wasser zu den Betroffenen zu bringen. «Bitte habt Verständnis: Eine Katastrophe von diesem Ausmass haben wir noch nie erlebt», sagte Rene Almendras, Sekretär des Kabinetts. «Wir haben ein System, aber es ist nicht perfekt», räumte der Chef der Katastrophenbehörde, Eduardo del Rosario, ein. «Wir merzen die Probleme aus.»
«Es ist wirklich ärgerlich, niemand in der Regierung scheint die Zügel in der Hand zu haben», sagte der Kongressabgeordnete Carlos Zarate der Nachrichtenagentur dpa. «Die Menschen verhungern oder sterben an Durchfall.» Der Stadtpräsident von Davao, Rodgrigo Duterte, klagte: «Nicht Gott hat die Menschen bei diesem Desaster verlassen, sondern die Regierung.»
Nach Angaben der Katastrophenschutzbehörde wurden mindestens 3665 Menschen verletzt. Im Notstandsgebiet sind inzwischen zahlreiche mobile Einheiten mit Ärzten und Pflegern unterwegs, um Erste Hilfe zu leisten. Aber selbst im Spital von Tacloban, das bei dem Taifun unter Wasser stand, gebe es nicht genügend Trinkwasser, berichtete ein Reporter der BBC.
Psychologische Betreuung
Nach Einschätzung von Experten gibt es auch einen enormen Bedarf an psychologischer Betreuung, damit die Betroffenen die durch die Katastrophe verursachten Traumata verarbeiten können. Anderenfalls würden Gewaltausbrüche zunehmen, warnen sie. Am Mittwoch begannen daher 55 Psychologen in der besonders hart getroffenen Stadt Tacloban einen Notfalleinsatz.
In der 220’000-Einwohner-Stadt spielen sich unvorstellbare Szenen ab. Eltern sind gezwungen, die Leichen ihrer Kinder zurücklassen, weil sie selbst ums Überleben kämpfen. Wer die Kraft aufbringt, flüchtet vor dem Leichengestank, der über der Stadt hängt. Andere irren fassungslos in den zerstörten Strassen umher. Und der Wetterdienst rechnet für die kommenden Tagen mit weiterem Regen.