Das Internet führt zu mehr Transparenz – auch in der Medienwelt. Erstaunlicherweise hat die Leserschaft nichts gegen Lügen — wenn sie einer «höheren Sache» dienen.
Das Internet ist für die Medienwelt mehr als eine ökonomische Herausforderung. Die Demokratisierung der Kanäle zwingt die Verlage zu mehr Sorgfalt. Denn aufgedeckte Fehlleistungen können vom Publikum genau so schnell verbreitet werden wie die gefälschten Nachrichten selber.
Bewusste Manipulationen müssten demnach ein Ding der Unmöglichkeit geworden sein. Dass dem nicht so ist, beweist das grösste deutsche Blog, Bildblog, das der grössten deutschen Boulevardzeitung täglich Fehler und Schlimmeres nachweist. Die sinkende Bild-Auflage darauf zurückzuführen, wäre indes vermessen, schon weil die Leserschaften der beiden Medien eine sehr kleine Schnittmenge haben dürften.
Inzwischen ist vielmehr offenkundig, dass sich die Menschen weiterhin wider besseres Wissen anlügen lassen. So geschehen mit der Foto-Geschichte von drei Geparden, die ein erjagtes junges Impala laut der britischen Daily Mail am Leben liessen. Obwohl die komplette Fotoserie des Tierfotografen Michel Denis-Huot öffentlich zugänglich ist und auch das blutige Ende der Geschichte zeigt, verbreitete sich im Internet die rührende Version der Zeitung tausendfach, die Hinweise auf den Betrug dagegen trotz prominenter Hinweise kaum.
Aber während die Akzeptanz dieser Unterhaltungs-Lüge lediglich miesen Journalismus zur kreativen Fiktion adelt, macht ein neuer Fall klar, dass Lügen in Kauf genommen werden, wenn sie einer vermeintlich höheren Sache dienen.
Ein aufklärender Artikel des Medienbeobachtungsprojektes Kobuk.at, das der Kronenzeitung nachweist, in einer Artikelserie über die Tötung von Strassenhunden in der Ukraine zwar grässliche, aber beinahe beliebig im Internet zusammengeklaubte Bilder mit falschen Legenden publiziert zu haben, liess in der Kommentarspalte nicht etwa das Publikum über die ungeheurliche Täuschung herziehen, sondern weiterhin die «Ermordung» der Hunde in Osteuropa als Tragödie beklagen.
Die maschinelle Filter-Bubble – die von Maschinen gesteuerte, individuelle Selektion der Nachrichten für jeden Online-Konsumenten, könnte sich bereits soweit in die Köpfe ausgedehnt haben, dass nicht mehr Wahrheit zählt, sondern nur noch der eigene Standpunkt.