Während Galeristen für ein Bild der klassischen Moderne sechs- und siebenstellige Beträge verlangen dürfen, staunen die Besucher über die Preise bei der Design Miami. Und nicht nur die.
Wenn diese Woche zum achten Mal die Design Miami/Basel ihre Tore öffnet, hört man nicht nur die Besucher über die Preise staunen, sondern auch Journalisten. Jenen etwa, der in der Stil-Beilage einer Schweizer Sonntagszeitung die «horrenden Preise» an der Basler Messe «den mehr oder weniger vernünftigen Preisen» des Mailänder Möbelsalons gegenüberstellt. Interessanterweise kann, wer für einen seltenen Sessel des finnischen Architekten Alvar Aalto einen vier bis fünfstelligen Betrag verlangt, mit weniger Verständnis rechnen, als ein Galerist, der an der benachbarten Kunstmesse für ein Bild der klassischen Moderne noch ein oder zwei Nullen anhängt.
Das hierarchische Denken, das die freie Kunst weit über die angewandte stellt, und allein die Tatsache, dass ein Gegenstand eine bestimmte Funktion hat, zum Anlass nimmt, seinen Wert zu limitieren, ist erstaunlich tief verankert. Es scheint, als hätte allen Bemühungen verschiedener Institutionen wie dem Bauhaus oder der Arts and Crafts-Bewegung um eine Gleichberechtigung der Künste zum Trotz nichts an der spätestens im 18. Jahrhundert einsetzenden Vorstellung der freien Kunst als der einzig wahren Kunst rütteln können.
Die Möglichkeiten von limitierten Editionen
Dabei würde gerade ein Besuch der Design Miami Basel ganz offensichtlich zeigen, wie unscharf die Grenze zwischen Kunst und Design mittlerweile geworden ist. So sind die zeitgenössischen Entwürfe ausnahmslos als Einzelstücke oder in Kleinstserien hergestellt, die den Designern Kreationen erlauben, die unabhängig sind von Massentauglichkeit und den Restriktionen der maschinellen Serienherstellung.
Eine Art Vitrinenschrank von Bethan Laura Woods bei der italienischen Galerie Nilufar zeigt die Möglichkeiten, die solche limitierten Editionen bieten: Die Oberfläche des aus Sperrholz gefertigten Möbels ist übersät von Holzlaminatschnipseln, die dicht an dicht den ganzen Kasten wie eine Haut überziehen. Woods anachronistische Spielerei stellt das seit den Fünfziger Jahren für billige Möbel verwendete Imitat den aufwändigen Holzeinlegearbeiten früherer Epochen gegenüber und schafft dabei gleichzeitig den Bezug zu ihrem eigenen Namen.
Neben solchen Entwürfen, die die Rahmenbedingungen der eigenen Disziplin ausloten, fallen auch dieses Jahr Entwürfe auf, die sich mit dem Verhältnis von Natur und Technik auseinandersetzen. So etwa der von Mathias Bengtson entwickelte Growth Chair bei der Pariser Galerie Maria Wettergren. Ein Computerprogramm simulierte das Wachstum der Struktur innerhalb bestimmter Rahmenbedingungen, die sich an natürlichen Prozessen orientierten.
Um aus dem digitalen Modell ein benutzbares Möbel zu schaffen, wählte Bengtson Bronzeguss zur Herstellung – nicht zuletzt deshalb, weil die mäandernde Schleifenform des Sessels etwas von der Dynamik hingegossener Flüssigkeiten hat. Die dafür nötige Gussform liess sich dann erstaunlicherweise nur mit einer Technik realisieren, die bereits in der Antike verwendet wurde.
Der Einfluss historischer Entwürfe
Im Kontrast zu solchen Entwürfen wurden viele der gezeigten historischen Möbel ursprünglich als Serienprodukte konzipiert. Und es mag einen seltsamen Beigeschmack haben, wenn wie in Jean Prouvés Fall eines Fertighauses für Obdachlose mit dem schönen Namen «Maison des Jours Meilleurs» heute vermutlich ein siebenstelliger Betrag hingeblättert werden muss. Gleichzeitig ist zu bedenken, dass viele der gezeigten historischen Entwürfe – obwohl zu ihrer Zeit wenig erfolgreich – massgeblich zum heutigen Erscheinungsbild unserer westlichen Welt beigetragen haben.
Vorfabriziertes Fertighaus «maison des meilleurs jours» (1956) von Jean Prouvé am Stand der Galerie Patrick Séguin.
Die Wirkungsmacht dieser Stücke wäre indes unabhängig von ihren ästhetischen Qualitäten nicht denkbar. Denn so sehr sich auch viele der Altmeister vor allem um Funktionalität und niedrige Herstellungskosten kümmerten, so sind ihre Entwürfe eben gleichzeitig auch echte Kunststücke. Ikeas Pöang-Sessel ist ohne Alvar Aaltos Modell 402 nicht denkbar, vor allem aber spielt letzterer in einer ganz anderen ästhetischen Klasse – vor der harmonischen Wellenform des Finnen, dessen Nachnamen «Welle» bedeutet, hat der schwedische Möbelriese offensichtlich kapitulieren müssen.
Ob man nun solche Unterschiede in Geldbeträgen aufwiegen kann und sollte, sei dahingestellt. Von einem Messebesuch profitiert, wer – wie wohl die meisten auch bei der Art Basel – nicht die Frage des Preises in den Vordergrund stellt, sondern dank dem gut sortierten Mix historischer und aktueller Stücke etwas über die Disziplin Design erfahren möchte.