Rund 500’000 Wasservögel aus Nordeuropa verbringen jeweils den Winter auf Flüssen und Seen in der Schweiz. Dieses Jahr sind aber viele der Wintergäste weggeblieben. Der Grund: Wegen der warmen Witterung fanden sie auch im Norden genug Nahrung.
Stattdessen sind viele Arten in der Schweiz geblieben, die hier brüten und sonst nach Spanien oder noch weiter in den Süden ziehen. Dies belegen die provisorischen Zahlen der ersten Wasservogelzählung dieses Jahres durch die Vogelwarte Sempach.
«Es hat quasi eine Verschiebung der Wasservögel nach Norden gegeben», erklärte Michael Schaad von der Vogelwarte der Nachrichtenagentur sda. Die Tiere würden erst dann in südlichere Gefilde ziehen, wenn ihre Brut- oder auch Rastgebiete unterwegs zufrieren und das Nahrungsangebot somit knapp wird. Kälte hingegen mache den Wasservögeln nichts aus.
Besonders auffallend ist heuer die kleine Zahl von Schellenten. Überwintern sonst im Schnitt fast 10’000 dieser rings um die Arktis lebenden Enten in der Schweiz, sind es dieses Jahr nur knapp 1000. Auch die Zahl der Sturmmöwen lag mit 1000 Individuen ein Fünftel unter dem Durchschnitt der letzten 50 Jahre.
Weiter wurden nur 100’000 Reiherenten gezählt, was etwa ein Drittel weniger sind als sonst. Allerdings waren im Winter 1981/1982, dem schneereichsten Winter in Westeuropa im 20. Jahrhundert, sogar über 200’000 Reiherenten zu Gast. Andere Wintergäste fehlen dieses Jahr vollständig: Die Samtenten, von denen sonst etwa 250 hier überwintern, sowie die eher seltenen Eiderenten, Zwergsäger und Eisenten.
Im Norden geblieben
Dafür bevölkern dieses Jahr so viele Kolbenenten die hiesigen Gewässer wie noch nie in den letzten 50 Jahren. Über 30’000 Individuen wurden gezählt, deutlich mehr als die 28’803 im bisherigen Rekordjahr 2010. Ein Drittel über dem Durchschnitt liegt auch die Zahl der Haubentaucher mit über 40’000 Individuen.
Die nördliche Verschiebung der Wintergäste deute auf einen aussergewöhnlich warmen Winter hin, erklärte Schaad. Sie hat sich in den letzten 30 Jahren zum Trend entwickelt, einhergehend mit einem Anstieg der Temperaturen im Frühwinter um fast vier Grad Celsius.
Schutzgebiete neu beurteilen
Das veränderte Zugverhalten der Wasservögel stellt den Naturschutz in Europa laut der Vogelwarte vor neue Probleme. Die klimabedingte Verlagerung führe dazu, dass der Schutzstatus der Winterquartiere von Wasservögeln europaweit neu beurteilt werden müsse.
In der Schweiz werden seit den Fünfzigerjahren jeden Winter Wasservögel gezählt. Diese Zählungen seien Teil eines der grössten internationalen Überwachungsprogramme, erklärte Schaad. Auch diesen Januar haben wieder rund 500 Freiwillige an der ersten Bestandsaufnahme des Winters teilgenommen.