Wegen Baustelle geschlossen

Grossbaustellen machen Kleingewerblern immer wieder das Leben schwer. Manchem brechen sie sogar das Genick. Entschädigungen zahlt der Kanton Basel-Stadt den betroffenen Geschäften nicht.

Hat den Ärger hinter sich: Erika Ottenburg vom Messerladen am Spalenberg. (Bild: Michael Würtenberg)

Grossbaustellen machen Kleingewerblern immer wieder das Leben schwer. Manchem brechen sie sogar das Genick. Entschädigungen zahlt der Kanton Basel-Stadt den betroffenen Geschäften nicht.

Alain Wischlen, 59, zog die Notbremse. Am 30. November um 13 Uhr schloss er zum letzten Mal seinen Laden. Seither ist die Bäckerei Wischlen, gegenüber vom Felix-Platter-Spital an der Burgfelderstrasse, Geschichte. Die Grossbaustelle des Luzernerring-Wasgenring-Umbaus vor seiner Tür hat ihm innert weniger Wochen die Laufkundschaft verjagt. Seit Jahren schrieb sein Geschäft eine schwarze Null, mehr nicht. Aber auch nicht weniger. Bis Ende 2013 werden die Bagger auf der Burgfelderstrasse zugange sein. Mit diesen wenig erbaulichen Aussichten vor dem Schaufenster und ohne Lust, sich über beide Ohren zu verschulden, deponierte Alain Wischlen, nach vergeblichen Hilferufen in Richtung Bau- und Verkehrsdepartement (BVD), die Bilanz.

Anderen geht es gleich

Im Gespräch mit der TagesWoche berichtet der Bäcker von zwei Berufskollegen, denen es vor einiger Zeit gleich ergangen sei. Einer ist Bruno Bachmann. Er führte seine Bäckerei an der Hammerstrasse 196. Im März 1996 schrieb die «Basler Zeitung», Bachmanns Betrieb werde durch die Bauerei dort stark beeinträchtigt. Die Kundschaft komme kaum mehr in den Laden; der Baustaub verschmutze die Auslagen. Der direkte Verkauf sei stark zurückgegangen. Bachmann damals zur BaZ: «Lange halte ich das nicht mehr durch.» Im Jahr 2000 gab er tatsächlich auf, wie er der TagesWoche auf Anfrage erklärt. Der Grund für seinen Konkurs seien die Baustellen gewesen. Ein Augenschein vor Ort zeigt: Sein Lokal steht noch heute leer.

Ähnlich schlecht lief es in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre so manchem Geschäft rund um die Horburgstrasse. Grund: die Monsterbaustellen der Nordtangente. Dieselbe Nordtangente­, die «wie erwartet» (Tiefbauamt), heute Mehrverkehr produziert auf der ­anderen Rheinseite bei der Ein- und Ausfahrt Luzernerring. Um «ungünstige Auswirkungen zu minimieren» (Tiefbauamt), wird nun dort der Wasgen­ring von vier auf zwei Spuren verschmälert, abgesegnet per Volksabstimmung Ende September 2009. Eine der Baustellen hat Bäcker Alain Wischlen zur Geschäftsaufgabe gezwungen. Ihn ereilte so mit Ausläufern­ der Nordtangente auf der Grossbasler Seite dasselbe Schicksal wie Bäcker Bruno Bachmann vor Jahren auf ihrer Kleinbasler Seite.

Versiegte Geldströme

Nur dass der Kanton sich in der Vergangenheit kulanter gezeigt hatte: Im Zusammenhang mit der Nordtangente­ floss rund eine halbe Million Franken an etwa 15 Geschäfte im Horburg­quartier, gab Hans-Jörg Schlegel, ­damals Leiter der Abteilung Nationalstrassen im Basler Tiefbauamt, 1999 der BaZ zu Protokoll.

Wischlen biss 2012 auf Granit. Als erste Reaktion auf die am ­20. August errichteten Strassensperren vor seinem Laden wandte er sich an die ­Arbeitslosenversicherung und stellte Antrag auf Kurzarbeitsentschädigung. Der wurde abschlägig beantwortet. Der Kanton sei zuständig, habe man ihm erklärt. Also schrieb er Anfang September der baselstädtischen Regierung und schilderte sein Problem. Einen Monat später erhielt er von Baudirektor Hans-Peter Wessels ebenfalls negativen Bescheid. Wischlen stellte ein Wiedererwägungsgesuch. Erfolglos.

Datiert auf den 21. November flatterte ihm die schriftliche Begründung ins Haus. BVD-Sprecher Marc Keller argumentiert gegenüber der TagesWoche, die Bauarbeiten erfolgten im öffentlichen Interesse und würden auf ein Minimum beschränkt. «Die unvermeid­baren Auswirkungen gehen nicht über das in einer Stadt übliche Ausmass ­hinaus», findet er. Der Kanton sehe deshalb und aus Gründen der Gleichbehandlung keine rechtliche Basis für eine Entschädigung.

«Dann hätten wir auch Geld verlangt!»

«Wenn Wischlen Geld bekommen hätte, wäre das nicht gerecht gewesen», ereifert sich Erika Ottenburg vom Messerladen am Spalenberg, «dann hätten wir auch Entschädigungen verlangt!» Denn trotz kommunikativem Grossaufwand seitens des Kantons haben am Spalenberg alle ­Läden die monatelangen Bauarbeiten vor ihrer Haustüre in ihren Geschäftsbüchern gespürt. Die einen deutlich, die anderen weniger. Einige klagen im Gespräch mit der TagesWoche, dass bis zur Hälfte der Kundschaft wegblieb. Vor allem ältere Personen hätten es zeitweise schwer gehabt, in ihr Geschäft zu gelangen, erzählt die Apothekerin. Der Schmuckladen Rhomberg andererseits blieb nahezu verschont.

René Tschirren vom Stichkabinett holt weit aus, nach den Folgen der Baustelle gefragt. Schliesslich meint er, es habe wohl auch gesellschaftliche Gründe, warum in letzter Zeit seine Bilder nicht die Kundschaft finden wie noch vor zehn oder zwanzig Jahren. Die Baustelle sei da als negativer Faktor einfach hinzugekommen. «Ich hoffe aber sehr, dass das nächste Jahr besser läuft als 2012», meint er viel­sagend und mit düsterer Miene. Unmittelbar existenzbedrohend waren die Umsatzrückgänge – noch – bei keinem der befragten Geschäfte. Alle hoffen aber inständig auf bessere Zeiten.

Die Suche nach den zwei Geschäften, die laut dem Präsidenten des Gewerbeverbandes, Marcel Schweizer, wegen der Baustelle am Spalenberg «eingegangen» sein sollen, bleibt allerdings erfolglos. Danach gefragt, zucken alle hinter den Ladentheken mit den Schultern. Man habe zwar dies und jenes gehört, aber wisse eigentlich nichts Genaues, tönt es durchs Band. Die Geschäftsleute sprechen wenig miteinander, bestenfalls mit den Nachbarn zur Rechten und Linken. Und wenn man sich austauscht, dann kaum vertieft über den Geschäftsgang.

Hilfsbereite Bauarbeiter

Den Bauarbeitern stellen alle von der TagesWoche Befragten ein gutes Zeugnis aus. Erika Ottenburg meint stellvertretend: «Sie waren immer sehr hilfsbereit!» Dass sie ihren Laden für Messerschmiedwaren wegen der Baustelle auch mal tageweise schliessen musste, trug sie mit Fassung.

Maren Gnädinger führt das Spezial­geschäft für Schokolade «xocolatl» an der Blumengasse. Direkt vor ihrem Schaufenster baut die Universität die Spiegelgasse 5 zur Bibliothek der medi­zinischen Fakultät um. Von Strassensperren während Ladenöffnungszeiten und lästigen Lärmimmissionen könnte auch sie ein Lied singen. Aber sie winkt ab. Nach anfänglichen Schwierigkeiten laufe die Sache jetzt, da sie guten Kontakt mit Vorarbeiter und ­Architekt habe, ganz anständig. Bauchweh macht ihr allerdings der kommende Abriss der beiden Häuser Spiegelgasse 11 und 15 unmittelbar im Rücken ihres Lokals. Da soll dereinst der Neubau des Amts für Umwelt und Energie, AUE, hinkommen.

Gnädinger wäre froh, sie wüsste aus dem BVD, das sich ihr gegenüber bisher in Schweigen hüllt, frühzeitig, was dort wann geplant ist.

Das könnte sie im Prinzip nachlesen im Ratschlag Nr. 12.0347.01 (PDF) des ­Regierungsrates vom März dieses Jahres, den der Grosse Rat am 6. Juni guthiess. Gemäss «Grobterminplan» beginnt im Februar 2016 neben dem «xocolatl» die «Bauausführung». Aber hat eine Ladeninhaberin die Zeit ­übrig, um Politgeschäfte immer detailiert ­daraufhin abzusuchen, ob sie sie ­betreffen? Ein leitender Angestellter des Bau- und Verkehrsdepartementes gestand der TagesWoche mit entwaffnender Offenheit: «Kommunikation ist nicht unser Kerngeschäft.»

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 07.12.12

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