Weniger Barrieren, aber neue Herausforderungen für Menschen mit Behinderung

Wie lebt man als Mensch mit Behinderung im Jahr 2035? Besser, besagt eine neue Studie. Doch bis dahin gebe es einige Probleme zu lösen.

Behindertsein dürfte in Zukunft «normaler» werden. (Symbolbild) (Bild: sda)

Wie lebt man als Mensch mit Behinderung im Jahr 2035? Besser, besagt eine neue Studie. Doch bis dahin gebe es einige Probleme zu lösen.

Mehr als zehn Prozent der Schweizer Bevölkerung leben mit einer Beeinträchtigung. Wie sich gesellschaftliche, politische, wirtschaftliche und technologische Entwicklungen auf Menschen mit Behinderung auswirken, hat das Gottlieb Duttweiler Institut untersucht. Das Institut ging der Frage nach, wie das Leben von Menschen mit Behinderung im Jahr 2035 aussieht.

Die rechtliche und finanzielle Lage von Menschen mit Behinderung hat sich in den vergangenen Jahrzehnten drastisch verbessert. Der Sozialstaat wurde weiter ausgebaut, der Schutz vor Diskriminierung ist seit 2004 gesetzlich verankert und das Recht auf Inklusion als fester Wert etabliert, wie es in der am Donnerstag veröffentlichten Studie heisst (zum kostenlosen Download der Studie).

Fortschritte und neue Herausforderungen

Doch Fortschritte in der Medizin und Rehabilitation, demografische Veränderungen oder Sparmassnahmen und Bürokratisierung bringen neue Herausforderungen mit sich. Die Studie macht Vorschläge, wie mit diesen umzugehen ist und was diese für die involvierten Akteure, wie Politik, Behindertenorganisationen, Institutionen, Unternehmen und die Zivilgesellschaft bedeuten.

Anhand von sechs Thesen untersucht die Studie Auswirkungen auf verschiedene Alltagsbereiche wie Mobilität, Freizeit, Wohnen, Pflege, Betreuung, Bildung und Arbeit. Bewusst ausgeklammert werden finanzpolitische Aspekte.

Öffentliche Debatten gefragt

Grundsätzlich zeichnet die Studie ein positives Bild der Zukunft. So wird Behindertsein normaler, Barrieren werden verschwinden, neue Wohnformen entstehen und neue Technologien die Pflege flexibilisieren.

Ausserdem gehen die Verfasser davon aus, dass der Arbeitsmarkt teilweise solidarischer wird und dass es neue Inklusionsansätze durch flexible, individualisierte Übergänge von Schule, Ausbildung und Beruf geben wird.

Gleichzeitig müssen jedoch in allen Alltagsbereiche neue Herausforderungen bewältigt werden. Um den Wert der Vielfalt zu kommunizieren, brauche es vermehrt öffentliche Debatten, die den Grundstein legen für das gemeinsame Verständnis und die Solidarität, wie es in der Studie heisst.

«Unkonventionelle Gedankenexperimente»

Gefragt ist auch die Politik, die nicht nur die Kostenfrage, sondern auch die Solidarität als gesellschaftlichen Wert ins Zentrum stellen sollte.

Um das Argument explodierender Sozialkosten abschmettern zu können, lohnen sich laut Studie «unkonventionelle Gedankenexperimente» zur Umverteilung von Geldern. Beispielsweise könnten bestimmte philanthropische Tätigkeiten stärker steuerlich begünstigt werden. Anstatt in Kunst werde dann in soziale Wohlfahrt investiert.

Wichtig seien fliessende Übergänge zwischen geschützten, teilgeschützten und nicht geschützten Wohn-, Schul- und Arbeitsorten. Gleichzeitig brauche es für Menschen mit schweren Behinderungen auch künftig Schonräume. «Jedem Menschen soll die Entscheidung für eine möglichst selbstbestimmte Lebenswahl offen bleiben», heisst es in der Studie.

In der Arbeitswelt brauche es einen Kulturwandel. Unternehmen müssten ganzheitliche Verantwortungs- und Arbeitszeitkonzepte entwickeln. Mutige Experimente seien gefragt, beispielsweise Vorzeigeunternehmen, die eine glaubwürdige Kultur der sozialen Verantwortung verankert haben und ihre positiven Erfahrungen mit anderen teilen.

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Ist Basel auf Zukunfts-Kurs? Regierungspräsident Guy Morin hat mit der Streichung der Fachstelle für Menschen mit Behinderung für Empörung gesorgt. Trotz Kritik – unter anderem in Form eines offenen Briefs – hält er am Entscheid fest und sagt: «Es braucht keine Person mehr, die Konzepte schreibt.»

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