Das Basler Kulturleitbild wird bald veröffentlicht, es wird die Diskussion über Förderung anregen. Bereits jetzt fragen wir uns: Wie steht es um die drei grossen Basler Orchester und ihre Zukunftsaussichten?
More dolce!», ruft Giovanni Antonini wild gestikulierend den Musikern zu. Dann hebt er die Arme, elegant wie ein Tänzer, holt Schwung – und springt fast hinein in die Gruppe der ersten Violinen, damit sie «more dolce», süsser, weicher, intensiver spielen.
Ludwig van Beethovens 7. Sinfonie wird hier geprobt, an einem verregneten Apriltag im Mehrzweckgebäude Kuspo in Münchenstein. Die 40 Musiker des Kammerorchesters Basel sind konzentriert bei der Sache. Der Zeitplan ist eng, am nächsten Tag geht es auf nach Asien: Schanghai, Peking, Daejeon in sieben Tagen. Die meiste Zeit werden sie im Flugzeug verbringen; der Aufenthalt in Peking dauert nicht einmal 24 Stunden.
Für das Kammerorchester Basel (KOB) sind solche Tourneen Alltag. 90 Prozent seines Umsatzes erwirtschaftet es selbst, den überwiegenden Teil davon mit Konzerten ausserhalb Basels. Ähnliches, wenn auch quantitativ in kleinerem Rahmen, gilt für die Basel Sinfonietta: Einladungen ins Ausland erfolgen explizit aufgrund der spezifischen Qualität dieses Klangkörpers. Die internationalen Erfolge beider Ensembles strahlen auf die Musikstadt zurück, als offizielle Botschafter aber treten sie nicht auf.
Diese Rolle ist dem Sinfonieorchester Basel (SOB) vorbehalten, das nahezu vollständig vom Kanton getragen wird. Im Unterschied zum Kammerorchester geht das Sinfonieorchester selten auf Reisen; zum einen, weil es fest in den Spielbetrieb des Theaters Basel eingebunden ist, zum anderen, weil die Anstellungsbedingungen Tourneen teuer machen: Ein Grossteil der Reisezeit muss als Arbeitszeit vergütet werden – ein Luxus, von dem freie Orchester träumen. Ist das SOB aber mal im Ausland, etwa 2010 bei seiner China-Tournee, dann wird es mit allem Pipapo in der Schweizer Botschaft in Peking empfangen.
Alle drei Orchester spielen auf vergleichbar hohem Niveau. Die Basel Sinfonietta wurde dank ihrer herausragenden Interpretationen auf dem Gebiet der zeitgenössischen Musik 2007 erstmals zu den Salzburger Festspielen eingeladen, wo sich allsommerlich die Crème de la Crème der Klassikszene trifft. Diese Sensation wiederholte sich drei weitere Male; keinem anderen Schweizer Orchester ist das bisher gelungen.
Freischaffend aus Überzeugung
Die Basel Sinfonietta ist ein Bund freier Musiker. Mit wechselnder Besetzung einen homogenen Klang zu erzeugen, erfordert intensive Probenarbeit – aber es hält die Musiker auch wachsam, schärft die Sensibilität des Aufeinanderhörens. Die Besonderheit der Sinfonietta: Sie verwaltet sich selbst, über alles wird basisdemokratisch abgestimmt. Kein Chefdirigent, kein Intendant schreibt den Musikern vor, was sie zu spielen haben. Die andere Seite der Medaille: niedrige Entlöhnung, Doppelbelastung durch einen notwendigen zweiten Broterwerb, mühsame Subventionsverhandlungen mit den Kantonen.
Die meisten Sinfonietta-Mitglieder sind freischaffend aus Überzeugung. 40 ehrenamtliche Mitarbeiter, viele davon aus den Reihen der Orchestermusiker, erarbeiten die einzigartigen Konzertprogramme, die in ihrer Stringenz ihresgleichen suchen. Stets umfasst ein Oberthema das Konzert, musikalische Überraschungen sind vorprogrammiert. Bei den Abonnements-Konzerten der Basel Sinfonietta bekommt man zu hören, was andere Konzertveranstalter für unverkäuflich halten. Meist sind die Publikumsränge rappelvoll – die Sinfonietta beweist, dass es in Basel ein anspruchsvolles Konzertpublikum gibt, das sich nicht mit den immergleichen Programmen zufrieden gibt, die die finanzstark beworbenen Stars und Sternchen der Klassikindustrie in Szene setzen.
Neue Konzertformen erproben
Der Nachwuchs wird bei der Basel Sinfonietta intensiv gefördert, ebenso investiert das Kammerorchester Basel viel in die nächste Generation der Konzerthörer. Education-Projekte und Familienkonzerte, damit schmückt sich auch Franziskus Theurillat vom Sinfonieorchester Basel gerne (siehe Interview nebenan).
Das Kammerorchester erprobt aber auch Konzertformen für das mittlere Alterssegment: Im Ackermannshof kann man beim «Nachtklang» ab 22 Uhr mit einem Getränk und auf bequemen Sitzmöbeln klein besetzter Kammermusik lauschen oder sich in der Reihe «Let’s talk about» mit den Orchestermitgliedern und Solisten über das anstehende Abo-Konzert unterhalten. Sonntagvormittag gibt es hin und wieder «Musik zwischen Bildern» in der Fondation Beyeler, und auch die Neue Musik hat mit Uraufführungen, etwa bei Sonntagsmatineen in der Gare du Nord, ihren festen Platz im Repertoire. Das Orchester versucht, neben seinen zahlreichen Reisen häufiger im Heimathafen Basel vor Anker zu gehen.
Berühmt ist das KOB aber für seine Vielseitigkeit: Wie kaum ein anderes Ensemble kann es zwischen historisch informierter Aufführungspraxis und konventioneller Spielweise wechseln; Streicher und Blechbläser müssen jeweils in beiden Bereichen ausgebildet sein. Diese Flexibilität zeichnet auch ihre Interpretationen aus, denn das Wissen um die Eigenheiten der jeweiligen Zeit ermöglicht ein bewusstes Einsetzen verschiedener Stilmittel. Auch deshalb konnte das KOB 2003 den Alte-Musik-Spezialisten Giovanni Antonini für die Gesamteinspielung der Sinfonien Ludwig van Beethovens gewinnen. Die erste CD-Einspielung unter diesem Dirigenten sorgte für Furore, die zweite führte 2008 zum begehrten Echo-Klassik-Preis und zum Titel «Orchester des Jahres» der Deutschen Phono-Akademie.
Programmideen entstehen auch beim KOB im Team: Dramaturg Hans-Georg Hofmann, der Orchestervorstand und der ehemalige Orchesterdirektor Christoph Müller beraten, wie man eigene Ideen und die ökonomisch lebensnotwendigen Engagements auswärtiger Veranstalter unter einen Hut bekommt. Die Basler Abo-Konzerte bleiben aber die Saison-Highlights; hier gönnt man sich und den Hörern auch ein experimentelleres Programm.
Freiheit versus Sicherheit
Finanziell kann sich das KOB allerdings keine Experimente erlauben. Wie auch die Basel Sinfonietta ist es ein Projektensemble. 50 Mitglieder und ein Pool an Zuzügern spielen etwa 100 Konzerte pro Jahr. Trotz anhaltender Erfolge und euphorischer Kritiken steht das Orchester finanziell auf wackligen Füssen. Der Hauptsponsor Credit Suisse hat sein Engagement spürbar verringert; der schwache Eurokurs sorgt bei Gastspielen für eine geringere Kostendeckung. Die Honorare, die gezahlt werden, bewegen sich seit jeher unter denjenigen, die der Schweizer Musikerverband für freischaffende Musiker empfiehlt. Auch hier müssen viele einem Nebenberuf nachgehen, denn wer bei allen Konzerten mitspielt, ist aufgrund der Reisen hohen Belastungen ausgesetzt – und kommt jährlich auf Gagen von maximal 33 000 Franken.
Ganz anders sieht es beim Sinfonieorchester Basel aus: Im Durchschnitt erhält ein zu 100 Prozent angestellter Musiker ein Jahresgehalt von 100 000 Franken. Die Stellen sind hart umkämpft. Wer hier das mehrstufige Probespiel besteht, hat bis zu 500 Mitbewerber ausgestochen. Dies sorgt für ein durchwegs hohes technisches Niveau der Musiker, doch extravagante Interpretationen garantiert es nicht: Bei einem Probespiel ist eine solide Performance gefragt – meist unter extremer psychischer Belastung.
Sinfonieorchester mit mehr Kontur und Charme
Im Konzertbereich ist das SOB bisher wenig aufgefallen; erst seit dem Amtsantritt des Chefdirigenten Dennis Russell Davies Mitte 2009 gewinnen die Programme an Kontur und Charme. Verschiedene Veranstalter hatten sich jahrelang des staatlichen Orchesters bedient, ohne dass es je ein eigenes Gesicht entwickeln konnte. Dies soll sich ändern; die Trennung von der Konzertgesellschaft der AMG auf die kommende Saison hin ist der erste Schritt. Im Konzertbereich kann das SOB nun selbst als Veranstalter auftreten – mit allen Chancen und Risiken. So muss es zuerst einmal die alten AMG-Abonnenten von einem Wechsel überzeugen.
Stammheimat des SOB bleibt aber das Theater Basel. In zirka 90 Vorstellungen pro Jahr bringt es die Oper im Theater Basel zum Klingen. Die begehrte Auszeichnung «Opernhaus des Jahres», die 2009 und 2010 von deutschsprachigen Kritikern an Basel verliehen wurde, ist auch ein Verdienst des Sinfonieorchesters.
Förderpolitik «Eins plus zwei»
Drei Orchester, drei Erfolgsgeschichten. Dennoch arbeiten sie unter gänzlich verschiedenen Bedingungen. «Eins plus zwei» lautet derzeit die Förderpolitik des Kantons, wie Philippe Bischof, Leiter der Abteilung Kultur des Kantons Basel-Stadt, sagt. Ein Orchester erhält den Grossteil an Geldern, zwei weitere werden mit namhaften Beträgen unterstützt. Das hat Tradition: Das SOB als quasi staatliches Orchester lebte schon immer grösstenteils von Subventionen. Die anderen zwei Orchester müssen sich immer wieder neu um Subventionen und Sponsoren bemühen, so erfolgreich sie auch sind.
«Subventionen entstehen nicht zuerst als Belohnung, sondern als Ermöglichung einer Grundexistenz», sagt Bischof dazu. «Nicht zu vergessen: Die freien Orchester entstammen freiwilligen Initiativen. Wir unterstützen diese nach Möglichkeit. Aber sie haben keinen expliziten Auftrag vom Kanton, anders als das Sinfonieorchester Basel: Es wird kräftig subventioniert, weil es die Grundversorgung der Bevölkerung mit klassischer Musik gewährleisten soll.» Ein Auftrag, den Franziskus Theurillat vom Sinfonieorchester wortwörtlich verinnerlicht hat.
Der Kanton fordert vom SOB aber eine gründliche Strukturbereinigung, unter anderem eine Erhöhung des Eigenfinanzierungsanteils. Sollte dies gelingen, könnten die frei werdenden Gelder neu verteilt werden. Und auch das Kulturleitbild, das kommende Woche veröffentlicht wird, spricht sich laut Bischof grundsätzlich für eine Profilierung aller geförderten Initiativen aus. Eine Analyse der Gesamt-orchestersituation ist in Planung, denn dass sich die Basler Orchester untereinander konkurrenzieren, weil sie auf dem gleichen Feld arbeiten, möchte Bischof durch Koordination und Reduktion von Überangeboten möglichst vermeiden.
Das Theater zahlt unterschiedlich
Eine Konkurrenzsituation besteht im Theater Basel, das seit 2006 neben dem Sinfonieorchester vereinzelt auch andere Ensembles engagieren kann. KOB und Sinfonietta haben davon schon profitiert, allerdings nicht finanziell: Die Gagen, die das Theater freien Orchestern zahlt, sind deutlich tiefer als jene, die die Musiker des Sinfonieorchesters erhalten. Obschon es sich um Subventionsgelder handelt, kann Philippe Bischof nicht eingreifen: «Das Theater ist als Genossenschaft ein unabhängiges Kulturunternehmen, das frei wirtschaften darf. Wir haben eine Leistungsvereinbarung, aber diese ist nur strategischer Art. Wir können zwar empfehlen, dass das Theater allen engagierten Orchestern die gleichen Tarife zahlt – direkt eingreifen können wir aber nicht.»
Was will, was kann staatliche Kulturförderung in Basel in diesem Gebiet also leisten? Momentan scheint sie in Schieflage. Die Idee des Kulturleitbildes, alle Klangkörper sollten sich stärker profilieren, verkennt die faktischen Möglichkeiten: Wer auf dem freien Markt überleben will, muss immer auch vielseitig sein und kann sich ein Nischendasein nicht leisten. Und dass der Kuchen erst dann neu verteilt wird, wenn das am stärksten subventionierte Orchester seine strukturellen Probleme beseitigt und eine stärkere konzeptionelle Ausrichtung gefunden hat, degradiert die anderen auf unbestimmte Zeit zu Zuschauern und macht sie von Entwicklungen abhängig, die sie nicht beeinflussen können. Aus eigener Kraft, so scheint es, können sich die freien Orchester keine Erhöhung der Subventionsbeiträge erarbeiten. Das ist bedauerlich, denn die nachhaltigen internationalen Erfolge dieser Klangkörper sind auf hiesigem Boden gewachsen. Lässt man sie hier vertrocknen, würde auch dies international wahrgenommen.
- Nächste Konzerte:
- Kammerorchester Basel, Giovanni Antonini: Mo, 16. April, 19.30 Uhr, Stadtcasino Basel.
- Bläser des Sinfonieorchesters Basel: So, 22. April, 11 Uhr, Stadtcasino Basel.
- Basel Sinfonietta, Kasper de Roo: Fr, 4. Mai, 19.30 Uhr, Stadtcasino Basel.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 13.04.12