Wie Biko, Mandela und Co. in die Musikgeschichte eingingen

In den 80er-Jahren eroberten Protestsongs gegen das Apartheid-Regime die ganze Welt: Peter Gabriel erinnerte an «Biko», Eddy Grant sang «Gimme Hope Jo’anna» und die Specials forderten «Free Nelson Mandela». Aus diesem Anlass: eine musikalische Reise durch südafrikanische Zeitgeschichte. Sein Schicksal hat die Welt bewegt. Und die Welt, sie wurde nicht zuletzt durch Songs darauf aufmerksam […]

Bürgerrechtler, Häftling, Staatsfeind, Popstar und Präsident: Wo immer Nelson Mandela nach seiner Freilassung auftrat, spielte auch immer die Musik.

In den 80er-Jahren eroberten Protestsongs gegen das Apartheid-Regime die ganze Welt: Peter Gabriel erinnerte an «Biko», Eddy Grant sang «Gimme Hope Jo’anna» und die Specials forderten «Free Nelson Mandela». Aus diesem Anlass: eine musikalische Reise durch südafrikanische Zeitgeschichte.

Sein Schicksal hat die Welt bewegt. Und die Welt, sie wurde nicht zuletzt durch Songs darauf aufmerksam gemacht, wer er war und wofür er stand: Nelson Mandela war Mitglied des African National Congress, kämpfte für eine Aufhebung der Rassentrennung in Südafrika, wagte es, die Politik des Apartheid-Regimes zu kritisieren und dagegen aufzubegehren. 1964 wurde der Jurist und Freiheitskämpfer eingekerkert, verbrachte 17 Jahre allein auf der berüchtigten Gefängnisinsel Robben Island in der Bucht von Kapstadt.

Nach 27 Jahren, Anfang 1990, wurde Mandela nach jahrelangen Verhandlungen mit dem Apartheid-Regime über einen friedlichen Machtwechsel und ein Ende der Rassentrennung freigelassen. Zuvor hatten zahlreiche Musiker in Protestliedern seine Freilassung gefordert und dafür gesorgt, dass die internationale Solidarität immer grösser wurde – mit ihr auch der Druck auf das Regime. Während es Mandela im Gefängnis verboten war, seine Lieblingsmusik zu hören (unter anderem Tschaikowski) und während auch die Zensur des Regimes versuchte, jegliche künstlerische Opposition zu unterdrücken, rüttelten uns in den anderen Hemisphären Lieder auf, die ein Ende der Apartheid forderten und auf die Missstände verwiesen. Damit wurde Mandela zur Symbolfigur, zum Popstar. Ein Stück Zeitgeschichte, in Songs erzählt.  

1. Peter Gabriel: «Biko», 1980

Zunächst richtete sich das Auge der Popwelt auf einen anderen Bürgerrechtler und Befreiungskämpfer: Steven Biko. 1977 wurde dieser Aktivist von der südafrikanischen Polizei verhaftet, mehrere Tage gefangen gehalten und bei der Befragung von Polizisten schwerwiegend misshandelt und verletzt. Kurz darauf starb er in einem Gefängnis in Pretoria. Den britischen Sänger Peter Gabriel liess dieser Vorfall nicht in Ruhe, er besorgte sich Literatur über und von Biko und entschied sich, mit einem politischen Song an das Schicksal von Biko zu erinnern.

Biko markierte 1980 Gabriels ersten Ausflug in die World Music, 1982 gründete er das WOMAD (World Of Music And Dance) Festival, später folgten seine Kollaborationen mit afrikanischen Musikern wie Youssou N’Dour. Biko war kein Hit und wurde doch zum Klassiker, den Gabriel an Hunderten von Konzerten sang, oft am Ende des Sets.

2. The Specials: «Free Nelson Mandela», 1984

In schwarz-weissen Karomustern kleideten sich The Specials ein, eine britische Ska-Band, die mit den Frontmännern Neville Staples und Terry Hall vorlebte, wie schwarz und weiss zusammen harmonieren konnte. Die Musik war der Politik diesbezüglich immer einen Schritt vorausgewesen. Bandleader Jerry Dammers, ein indischstämmiger Brite, hatte Ende 1983 die Idee, ein Befreiungslied für Mandela zu schreiben: «Free Nelson Mandela». Das Protestlied erschien 1984, versprühte Optimismus, wurde zur Hymne und diente als vorweggenommener Triumphsong.

3. Hugh Masakela: «Mandela (Bring Him Back Home)», 1987

Südafrika hatte eine blühende Musikszene, als das Apartheidregime die Rassentrennung in den 1950er- und 60er-Jahren immer rigoroser und brutaler durchsetzte und Friedensmärsche gewaltsam stoppte. Populäre schwarze Musiker wie die Sängerin Miriam Makeba oder der Pianist Dollar Brand (Abdullah Ibrahim) flohen ins Exil – ebenso Hugh Masakela, der grosse Trompeter, der den Modern Jazz nach Südafrika brachte und später in London sowie anderen afrikanischen Ländern lebte und arbeitete, nie jedoch aufhörte, auf die Missstände in seinem Heimatland hinzuweisen. 1987 landete er einen Hit mit «Bring Him Back Home», seiner Aufforderung, Mandela endlich freizulassen.

4. Johnny Clegg & Savuka: «Asimbonanga», 1987

Mitte der 80er-Jahre nahmen die Spannungen in Südafrika zu, ebenso der Druck und die Kritik von aussen. Auch im eigenen Land wagten sich jene Musiker, die geblieben waren, vermehrt kritisch zu äussern. Johnny Clegg, ein weisser Sänger mit Jahrgang 1953, war schon als 15-jähriger Junge in Soweto mit den Traditionen der Zulu vertraut gemacht worden. Er kannte keine Berührungsängste zu den Schwarzafrikanern und lebte als Musiker vor, wie echte Gleichberechtigung aussehen würde. 1985 formierte er seine zweite multiethnische Band Savuka («Wir sind erwacht») und wurde mit seiner sanften Hymne «Asimbonanga» weltberühmt. Mandela sass zu dieser Zeit noch immer im Gefängnis. 1999 aber konnte ihm Clegg das Ständchen live vorspielen, wie diese Aufnahme zeigt. 

5. Stevie Wonder: «It’s Wrong» (Apartheid)

1985 nutzte Stevie Wonder seine Popularität, um auf die Ungerechtigkeiten des südafrikanischen Systems aufmerksam zu machen. Er verpflichtete Exil-Südafrikaner als Musiker und nahm den Song «It’s Wrong» auf. Im selben Jahr wurde er bei einer Demonstration in Washington verhaftet – und widmete den Oscar, den er für die Ballade «I Just Called To Say I Love You» überreicht bekam, vor laufenden Kameras Nelson Mandela. Die südafrikanische Regierung reagierte prompt, erklärte ihn zur Persona non grata und verbannte alle Songs von Stevie Wonder aus dem Land. Doch diese Zensur vermochte den Lauf der Dinge nicht aufzuhalten.

6. Tracy Chapman: «Talkin’ bout a Revolution» (1988)

Wie reif die Zeit war für die Veränderung, manifestierte sich 1988. Mandela sass noch immer im Gefängnis, als zu seinem 70. Geburtstag im Londoner Wembley Stadion ein Tribute Concert über die Bühne ging, initiiert von den bereits erwähnten Skamusikern The Specials. Wie zwei Jahre zuvor bei Live Aid traten weltberühmte Pop-Stars auf: Sting, UB40, Whitney Houston, Harry Belafonte, Phil Collins. Diesmal, um gegen die Rassentrennung und für Mandelas Freilassung zu protestieren. Stevie Wonder war auch dabei, musste seinen Auftritt aber wegen Computerproblemen abbrechen. Da schickten die Veranstalter die junge Tracy Chapman auf die Bühne, die nur mit ihrer Gitarre die Pause füllen sollte. Und wie sie das tat! Das Konzert, das in 60 Länder ausgestrahlt wurde, machte die US-Sängerin auf einen Schlag weltbekannt. Ihre musikalische Ankündigung, dass eine Revolution anstehe, bestätigte sich keine zwei Jahre später: Am 11. Februar 1990 wurde Mandela aus dem Gefängnis entlassen, der Wandel in Südafrika eingeleitet.

7. Sipho Hotstix Mabuse: «Nelson Mandela» (1994)

1994 wurde Sänger Sipho «Hotstix» Mabuse vom African National Congress damit beauftragt, einen Song für Nelson Mandelas Wahlkampagne zu schreiben. Mandela war 1990 entlassen worden und Mabuse sagte sofort zu, die ehrenvolle Aufgabe zu übernehmen und ihm beim nächsten demokratischen Schritt zu helfen. In den Wahlkampfsong flocht er Passagen ein, in denen Mandelas Verteidigungsrede vor Gericht aus dem Jahr 1964 zu hören war. Der Song verfehlte seine Wirkung nicht, die afrikanische Bevölkerung (und nicht nur die!) nahm den Song in ihr eigenes Repertoire auf. Gewählt worden wäre Mandela vermutlich auch ohne den Song. Denn dass er der erste schwarze Präsident des Landes sein würde, das hatte Sängerin Brenda Fassie in ihrem Song «Black President» schon Jahre zuvor prognostiziert.

Bonustrack: Eddy Grant: «Gimme Hope Jo’anna», 1984

War Mandela in den 80er-Jahren der meistbesungene Häftling, so wurde er nach seiner Freilassung 1990 und seiner Wahl zum meistbesungenen Staatspräsidenten der Welt. Kein anderer Politaktivist wurde an Festivals und öffentlichen Auftritten so gefeiert wie er. Mandela setzte sich nach seiner offiziellen politischen Amtszeit für die Bekämpfung von Armut und AIDS ein. 46664 war seine Häftlingsnummer, 46664 steht seit zehn Jahren für zahlreiche Konzertveranstaltungen, mit denen zu Spenden für den Kampf gegen AIDS aufgerufen wird. Mandela hatte das Patronat inne und wurde weiterhin gefeiert wie ein Popstar: Zehntausende jubelten ihm bei seinem 90. Geburtstag im Londoner Hyde Park zu. Unter anderem auf der Bühne dabei: Eddy Grant, der seinen apartheidkritischen Song «Gimme hope Jo’anna» aus den 80er-Jahren zum Besten gab. Übrigens, wer noch nie in Südafrika war, weiss das womöglich nicht: Jo’anna ist kein Frauenname, sondern die umgangssprachliche Abkürzung für Johannesburg.

Gut denkbar, dass sein Tod noch einmal die Musiker dieser Welt mobilisiert – und diese das Wirken des Friedensnobelpreisträgers ein weiteres Mal auf einer ganz grossen Bühne feiern werden. 

 

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