Wiedergutmachungsinitiative ist zustande gekommen

Über Entschädigungen für Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen entscheidet voraussichtlich das Stimmvolk. Die Wiedergutmachungsinitiative ist formell zustande gekommen, wie die Bundeskanzlei am Dienstag mitteilte.

Bei der Einreichung der fast 110'000 Unterschriften vor einem Monat (Bild: sda)

Über Entschädigungen für Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen entscheidet voraussichtlich das Stimmvolk. Die Wiedergutmachungsinitiative ist formell zustande gekommen, wie die Bundeskanzlei am Dienstag mitteilte.

Die Volksinitiative «Wiedergutmachung für Verdingkinder und Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen» ist formell zustande gekommen, sie war am 19. Dezember 2014 eingereicht worden. Die Prüfung der Unterschriftenlisten ergab, dass von insgesamt 109’660 eingereichten Unterschriften 108’709 gültig sind.

Die Wiedergutmachungsinitiative verlangt eine Entschädigung für die Opfer administrativer Zwangsmassnahmen. Zu diesem Zweck soll ein Fonds in der Höhe von 500 Millionen Franken eingerichtet werden. Mit dem Geld soll den am schwersten betroffenen Opfern geholfen und das ihnen zugefügte Unrecht abgegolten werden.

Die Initiative lanciert hat Unternehmer Guido Fluri. Im Initiativkomitee sind neben Vertreterinnen und Vertretern der Betroffenenorganisationen Mitglieder aller Bundeshausfraktionen mit Ausnahme der SVP vertreten.

Mindestens 20’000 Betroffene

Fürsorgerische Zwangsmassnahmen waren im 20. Jahrhundert in der Schweiz gegen mindestens 20’000 Menschen angeordnet worden. Manche wurden als Kinder an Bauernhöfe verdingt, andere zwangssterilisiert, für Medikamentenversuche missbraucht oder wegen «Arbeitsscheu», «lasterhaften Lebenswandels» oder «Liederlichkeit» weggesperrt.

Der Zugang zu Gerichten blieb den Betroffenen in den meisten Fällen verwehrt. Erst 1981 wurde die Praxis der administrativen Zwangsversorgung gestoppt. Im Verlauf der letzten Jahre gab es erste Schritte zur Rehabilitierung der Betroffenen.

An einem Gedenkanlass bat Justizministerin Simonetta Sommaruga im April 2013 die Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen im Namen des Bundesrats um Entschuldigung. Ein Jahr später verabschiedete das Parlament ein Gesetz, mit dem das Unrecht anerkannt wird. Eine finanzielle Wiedergutmachung ist darin nicht vorgesehen. Vorerst gibt es nur einen Soforthilfefonds.

Soforthilfe noch bis im Sommer

Bisher erhielten Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen rund drei Millionen Franken an Soforthilfe. Zwischen Juni und Dezember 2014 gingen rund 650 Gesuche beim Ausschuss des Soforthilfefonds ein. 450 Gesuche wurden geprüft, in über 400 Fällen wurden Beiträge ausbezahlt – durchschnittlich in der Höhe von rund 8000 Franken pro Person. Die Frist für Soforthilfe-Gesuche läuft Ende Juni 2015 ab.

Neben der Soforthilfe hatte ein von Justizministerin Simonetta Sommaruga ins Leben gerufener Runder Tisch die Schaffung von Gesetzesgrundlagen für finanzielle Leistungen vorgeschlagen. Diese sollen es ermöglichen, allen Opfern – nicht nur denjenigen, die sich heute in einer finanziellen Notlage befinden – gewisse finanzielle Leistungen als Anerkennung des erlittenen Unrechts und als Zeichen gesellschaftlicher Solidarität zukommen zu lassen. Dazu sind noch keine Entscheide gefallen.

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