Wiedersehen in Österreich

Im Februar 2015 habe ich Javed in Österreich wieder getroffen. In mehreren Interviews suchte ich nach entscheidenden Ereignissen, wichtigen Orten und Anekdoten seiner Flucht, um mich auf meine Reise vorzubereiten. «Sie können hier nicht übernachten.» Die ältere Frau in der auffällig roten Jacke wirkt genervt. Ich schaue auf das Haus hinter ihr. Eine Pension. «Das […]

Wie damals im Skilager. Der rustikal eingerichtete Aufenthaltsraum der Asylunterkunft.

Im Februar 2015 habe ich Javed in Österreich wieder getroffen. In mehreren Interviews suchte ich nach entscheidenden Ereignissen, wichtigen Orten und Anekdoten seiner Flucht, um mich auf meine Reise vorzubereiten.

«Sie können hier nicht übernachten.» Die ältere Frau in der auffällig roten Jacke wirkt genervt. Ich schaue auf das Haus hinter ihr. Eine Pension. «Das habe ich auch nicht vor», entgegne ich, während ich aus dem Taxi steige. Bevor ich weiter erklären kann, weshalb ich hier bin, kommt Javed zur Tür hinaus. «Ich treffe mich mit ihm», sage ich und deute auf Javed. «Warum?», fragt die Frau etwas weniger genervt – dafür sichtlich verwirrt. «Weil er ein Freund von mir ist», gebe ich zurück. «Ein Freund? Woher kennen Sie sich?». Dass ich ihn aus Griechenland kenne, scheint sie nur noch mehr zu irritieren. Sie runzelt die Stirn, wendet sich ab und verschwindet kopfschüttelnd im Haus.

Der rustikal eingerichtete Aufenthaltssaal der Pension erinnert mich an die Skilager in meiner Schulzeit. Diese Pension dient inzwischen als Asylunterkunft. Javed wird sein österreichisches Asylverfahren hier abwarten – zusammen mit anderen Flüchtlingen aus Afghanistan, Syrien und dem Irak. Zu viert sitzen wir an einem Tisch, trinken künstlich schmeckenden Fruchtsaft und diskutieren.

«Sind Sie Journalist?»

Plötzlich kommt die Frau in der roten Jacke wieder. Sie stellt sich als Leiterin der Asylunterkunft vor. Diesmal ist sie freundlicher. Sie fragt mich nach meiner ID und dann, wie es dazu kam, dass ich Javed in Griechenland kennengelernt habe. Ich erzähle ihr, wie ich eine Woche mit den afghanischen Flüchtlingen in Patras verbracht hatte. Viel Verständnis bekomme ich dafür nicht. «Sind Sie Journalist?», fragt sie mit einem Blick auf meine Kamera. «Ja», gebe ich zu. Ihr Gesicht verfinstert sich wieder, weshalb ich schnell anfüge, dass ich mich erst mal nur wieder mit Javed treffen will. «Hier gibt es Vorschriften», sagt sie. «Wenn Sie Fotos oder Aufzeichnungen machen wollen, brauchen Sie eine Bewilligung.» Dafür habe ich keine Zeit, denke ich, und stimme zu.

Hamed, ebenfalls ein Afghane, der seit acht Monaten in Österreich ist und etwas Deutsch spricht, sitzt mit uns am Tisch. Er entschuldigt sich für das Verhalten der Leiterin und dafür, dass er mir nichts anbieten könne. «Ich möchte dir etwas kochen», sagt er. «Aber ich darf nicht.» Ich denke an die verlassene Fabrik in Patras. Wie gastfreundlich alle waren, obwohl sie selbst nichts hatten. Wie sie dort – wie auch hier – die meiste Zeit nichts zu tun haben. Dass das Leben in dieser abgelegenen Pension besser ist als in Patras, steht ausser Frage. Die Unsicherheit, wie das Leben weitergeht, bleibt aber. Ein Asylentscheid, sagt Javed, würde er frühestens in einem Jahr erhalten. 

Auf den Spuren des jungen Afghanen Javed, reist Simon Krieger den Fluchtweg zurück bis in den Iran. Dort trifft er Javeds Mutter, um für Javed ein Foto von ihr zu machen. Der afghanische Flüchtling, kann sich – nach elf Jahren ohne Papiere in Griechenland – nicht mehr an das Gesicht seiner Mutter erinnern. Diese Reise dokumentiert der Blog «Fluchtweg».


Im Februar 2015 habe ich Javed in Österreich besucht, wo er kurz zuvor einen Asylantrag gestellt hatte. Die zwei Nächte, die er monatlich ausserhalb der Asylunterkunft verbringen darf, haben wir genutzt, um Interviews über seine Flucht zu führen. Dabei suchte ich nach entscheidenden Ereignissen, wichtigen Orten und Anekdoten, die mir helfen, die spiegelbildliche Reise seines Fluchtweges als Reportage umzusetzen. Die Entstehung der Reportage kann noch bis zum 1. Mai 2015 auf wemakeit unterstützt werden.

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