Wien liegt im Dornröschenschlaf – doch man lebt dort herrlich

Ist es die Sommerpause? Oder die Melancholie, seit 100 Jahren nicht mehr im Mittelpunkt zu stehen? Wien schläft, doch es gibt wunderbare Gegenden und Kneipen. Zum Beispiel im 7. Bezirk.

(Bild: Valentin Kimstedt)

Ist es die Sommerpause? Oder die Melancholie, seit 100 Jahren nicht mehr im Mittelpunkt zu stehen? Wien schläft, doch es gibt wunderbare Gegenden und Kneipen. Zum Beispiel im 7. Bezirk.

Es gibt Städte, die leben auf im Sommer. Basel und Zürich gehören dazu, auch Berlin. Und dann gibt es Paris, wo die Bürgersteige ab Juli hochgeklappt werden. Oder Wien. Die angesagte Puffbar, unweit vom noch angesagteren Naschmarkt, macht Pause bis Mitte September. Das ist eine Ansage.

Und dann der gesamte erste Bezirk, wo sich das würdige alte Wien um den Stephansdom schachtelt – eine Geisterstadt. Ist das Sommerpause? Natürlich gehört es zum vornehmen Wiener Selbstverständnis, dass man im Sommer die lärmige Stadt verlässt und auf die Landgüter entflieht. Sofern man welche hat. Oder liegt Wien im Dornröschenschlaf? Stillgelegt in der Melancholie, seit hundert Jahren nicht mehr zu den Zentren Europas zu gehören? Jedesmal, wenn ich in Österreich bin, werde ich diesen Eindruck nicht los.

Der Umtrunk reissts raus

Klingt nach einem Wochenende ohne Flügel. Und ja, Wien ist kein Rausch. Es hat einen speziellen Geschmack. Man muss ihn schmecken wollen. Allerliebst zum Beispiel im Schwarzen Kameel (Bar, Restaurant, Confiserie), im selben Hause seit 1618 und seit kurzem (1901) mit Jugendstilinterieur. Grundgütiger, die können das! Das Personal hat einen Tonfall, in dem die gesamte Kultur des grossen Reichs mitschwingt. Jeder Besucher wird hier zur eleganten Person. Das Publikum ist intellektuell, schick und unberechenbar. Auf der Toilette stinkt es nach Urin, wen juckts, das Dinnerjacket der Kellner zählt, und die Speisen sind ausgezeichnet. An solchen Adressen liegen die Perlen des 1. Bezirks.

Und jetzt schnell weg. Ich empfehle wärmstens den 7. Bezirk rund um die Neubaugasse. Hier ist hippe Zone, wodurch es zwar weniger wienerisch wird, denn hipp ist auf der ganzen Welt gleich. Egal! Die Hippen wissen halt auch, warum sie da sind, wo sie sind, und sie kochen guten Kaffee. In Wien hat man dann beim draussen Sitzen garantiert noch den Blick auf eine Gründerzeitfassade im typisch satten k.u.k.-Gelb. Ausserdem gibt es an der Neubaugasse kleine, sehr gute und billige Antiquitätenläden. Und damit es auch ein bisschen kauzig zu und hergeht im 7., hat sich eine seltsam grosse Menge von Esoläden gehalten, diese Relikte aus den 00er-Jahren, bei denen unklar ist, wer da eigentlich einkauft.

Abends kehren wir gleich um die Ecke in die Chinabar ein, mit schönem Garten und toller Einrichtung. Meine chinesischstämmige Begleitung sagt, so etwas Gutes habe sie ausserhalb Asiens selten gegessen. Die Bedienung hat ebenfalls chinesische Wurzeln, ist möglicherweise lesbisch und spricht muttersprachlich wienerisch. Ich frage sie, warum in Wien so wenig los ist. Sie versteht nicht wirklich, was ich meine. Seltsam. Aber schon wieder haben wir herrlich gelebt.

  • Übernachten: Im Fürst Metternich. Gute Lage im 6. Bezirk, super Last-Minute-Preise und ein wenig alt-Wiener Glamour.
  • Bummeln: In der Neubaugasse, dem Prenzlauer Berg von Wien: tolle Läden, nette Cafés. 
  • Apéritif nehmen: Zum Schwarzen Kameel, Bognergasse 5. Das Haus gibt es seit 1618, seit 1901 hat es ein Jugendstil-Interieur. Zigarette und Antipasti zum Aperitif.
  • Schmausen: In der Chinabar um die Ecke, Burggasse 76. In der Chinabar, Burggasse 76. Das Essen ist hervorragend und es gibt einen Garten mit Holzstühlen.

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