Die Schweiz strebt in St-Etienne gegen Polen im Achtelfinal vom Samstag den historischen Coup an. Dazu ist für Nationalcoach Vladimir Petkovic eine Steigerung nötig. «Wir müssen 20 Prozent zulegen.»
Der letzte Schweizer Sieg in einem WM- oder EM-K.o.-Spiel liegt 78 Jahre zurück. Der letzte Schweizer Vorstoss unter die Top 8 geht zurück auf die Heim-WM 1954. Einen Tag vor dem Achtelfinal gegen Polen ist sich Nationaltrainer Vladimir Petkovic des historischen Ausmasses dieser Partie bewusst. «Wir haben bisher kleine Schritte gemacht und nach der Vorrunde eine Türe zugemacht. Jetzt stehen wir vor dem Haupt-Portal und wollen noch weitere Türen öffnen.»
Das Haupt-Portal zur Hautevolee des Fussballs steht für die Schweizer im Stade Geoffroy Guichard von Saint-Etienne, wo sich schon einige Momente zugetragen haben, die einen Eintrag in die Annalen fanden. Hier erzielte Michel Platini 1984 in 18 Minuten den bisher einzigen klassischen Hattrick an einer EM-Endrunde. Hier erhielt David Beckham an der WM 1998 wegen eines Tritts gegen den heutigen Atletico-Trainer Diego Simeone einen der berühmtesten Platzverweise der Geschichte.
In Saint-Etienne leben 180’000 Menschen. In einer strukturschwachen Region sind die meisten von ihnen verrückt nach Fussball. Die AS Saint-Etienne ist einer der populärsten Klubs des Landes, seit sie 1976 den Final des Meistercups erreicht hat. Der frühere Schweizer Internationale Christoph Ohrel hat in der Saison 1995/96 hier gespielt. Über Saint-Etiennes Verhältnis zum Fussball sagte er: «Fussball bedeutet für die Stadt nicht nur Freude und Genuss, sondern vor allem Schweiss, Blut und Tränen.»
Eine solche Aussage passt zu den Prognosen für das Spiel gegen Polen. Die Schweizer erwarten einen physischen Gegner und einen engen Ausgang. «Das wird sehr hart, wir werden viel arbeiten müssen und am Ende entscheiden Details», sagte Vladimir Petkovic. Der souveräne Vorstoss in die K.o.-Phase kommentierte der Nationalcoach so: «Wir sind stolz, aber wir wollen auch auf dem Boden bleiben.» Und dann sagte er etwas, das sich in den Ohren der Gegner wie eine Drohung anhören musste: «Jetzt haben wir Gefallen gefunden an diesem Turnier.»
Captain Stephan Lichtsteiner sieht die Schweiz in einer besseren Position als noch vor zwei Jahren vor dem knapp verlorenen WM-Achtelfinal gegen Argentinien. «Wir haben mehr Vertrauen in uns.» Das habe das Spiel gegen Frankreich gezeigt, indem man «mit viel Ballbesitz» aufgetreten sei. «Wir spielen ein hervorragendes Turnier und sind sehr zufrieden.»
Die Leistung beim 0:0 gegen den Gastgeber soll für die Schweizer aber nicht den Zenit darstellen, sondern als neuer Ausgangspunkt dienen. «Wir sind seit über einem Monat zusammen und die Mannschaft ist noch immer sehr positiv. Wir sind wie eine Turniermannschaft und werden von Spiel zu Spiel besser. Morgen müssen wir nochmals 20 Prozent zulegen», sagte Petkovic.
Die Torflaute des polnischen Superstars Robert Lewandowski, der im Nationalteam seit über sieben Monaten nicht mehr getroffen hat, ist bei den Schweizern kein Thema. «Auch wenn Lewandowski drei Mal nicht trifft, ist er immer noch ein guter Stürmer. Er ist ein sehr gefährlicher Gegner für uns», so Lichtsteiner. Petkovic fügte hinzu: «Er arbeitet sehr hart für die Mannschaft. Das ist auch wichtig.»
Petkovic weiss, dass rund um sein Team ähnliche Debatten geführt werden. Wie Polen hat auch die Schweiz erst zwei Tore erzielt. Und wie Lewandowski ist auch der Schweizer Topskorer in der Qualifikation, Xherdan Shaqiri, an der EM bisher leer ausgegangen. Petkovic: «Wir haben in drei EM-Spielen 15 klare Torchancen erarbeitet. Das ist nicht selbstverständlich auf diesem Niveau.» Sein Team müsse so weitermachen wie bis anhin. «Wir wollen den Ball haben, dann kann der Gegner wenig ausrichten.» Petkovic hat die Strategie im Kopf, wie er in einer fussballverrückten Stadt Schweizer Fussballgeschichte schreiben kann.