Während die Politiker am USA-Europa-Treffen den Freihandel planen, hat Frankreich sich mit dem Wunsch, die Kultur davon auszunehmen, durchgesetzt. Barroso nannte Frankreich dafür raktionär. In Frankreich kommt das schlecht an.
Warum nennt José Manuel Barroso Furioso, der in Portugal einer konservativen Partei angehört, Frankreichs Wunsch, seinen Film nicht einer Freihandelszone mit den USA zu opfern, reaktionär? Film stiftet für jedes Land in Europa Identität. Soll ich sorgfältig mit einem, der derart europäische Kultur vertreten will, umgehen? In Frankreich tut man das derzeit nicht, und blickt gespannt zum Treffen der Staatschefs in Irland.
1. Vielleicht ist Barroso schlecht informiert?
Bei einem vielbeschäftigten Mann, der häufiger im Fernsehen zusehen ist als Sean Connery oder Robert deNiro ist es nicht erstaunlich, wenn er viel sagt. In Frankreich zieht man es zur Zeit vor, das Gesagte als eher nicht gesagt zu beurteilen. Allerdings hat Barroso seine Rede, mit der er vor einigen Tagen Filmemacher aus ganz Europa davon zu überzeugen suchte, Europa müsse mehr amerikanische Filme sehen, nur abgelesen: Barroso kann nur schwer einen Film beim Namen nennen, der zur Zeit im Kino läuft. Muss er auch nicht als Opernfan. Dass die ‚Zauberflöte’ nicht von Ingmar Bergman ist, weiss Barroso – und weiss doch zu wenig …
2. Vielleicht geht Barroso nicht ins Kino?
Sonst wüsste er: Wer in Europa ins Kino geht, muss zu 60 % der Besuche amerikanische Kost verkraften. Wer aber in den Staaten einen europäischen Film sehen will, der muss lange suchen: Während der Anteil von Europas Film in den USA zwischen drei und sechs Prozent liegt, müssen die Europäer sich bereits in 60 Prozent aller Kinobesuche mit amerikanischer Knaller-Kost beschäftigen. (Der Einwand, dass es auch gute amerikanische Filme gibt, sei Barroso gestattet,auch wenn er sie nicht kennt: Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie in Amerika kaum jemand sehen will. Sie werden dann halt in Europa gezeigt … (Z.B.: Woody Allen)
3. Vielleicht ist Barroso als Protugiese in kulturfremden Schichten aufgewachsen?
Portugal ist nicht ein Land, das durch eine sonderlich geförderte Kultur auffällt. Was an Kultur bezahlt wird, ist meist privat: Die Gulbekian Stiftung ist eine der reichsten privaten Kulturstiftungen Europas und bestimmt im Wesentlichen den portugiesischen Kunstbetrieb.
Der heute amtierende portugiesische Präsident Pedro Passos Coelho hat als erstes das Kulturministerium abgewickelt und Kultur zur Chefsache erklärt. Was Chefsache heisst, wurde den Menschen dann rasch klar: Theater werden abgerissen, Museen geschlossen, der Bildungsetat halbiert. Da es aber kein Kulturministerium mehr gibt, weiss niemand so recht, wo dagegen zu protestieren sei.
Die portugiesischen Künstler haben sich fst schon damit abgefunden, dass es sie nicht geben soll. Der Regisseur von ‚Tabu’, Miguel Gomes, der den diesjährigen ‚Lux’ erhielt (Filmpreis des Europaparlaments), äusserte im Interview mit der Tageswoche Zweifel daran, ob überhaupt ein Europa-Parlamentarier seinen Film gesehen habe.
4. Vielleicht ist Barroso Revolutionär?
Nach dem Abitur studierte er Jura an der Universität seiner Heimatstadt. Während seiner Studentenzeit war Barroso in den Reihen einer marxistisch-leninistischen Studentenvereinigung an der „Nelken-Revolution“ beteiligt: Er hatte also einst das Recht andere reaktionär zu nennen. Einige Jahre später, viel später, sehr viel später, kann auch so ein Nelken-Mann ein Konservativer werden, Karriere machen und jene, die Kultur als etwas lokal Entstandenes schützen, um sie in das ‚Global Village’ einzubringen, Reaktionäre schimpfen.
5. Vielleicht weiss Barroso nicht was Frankreichs Filmindustrie so macht?
Die Franzosen unterhalten ein einmaliges Fördersystem für ihre Filmkünstler. So fliesst von jeder Kino-Eintrittskarte ein Betrag an die Filmindustrie zurück – auch wenn ein amerikanischer Blockbuster läuft. Damit werden sämtliche handwerklichen Berufe im Filmwesen gefördert, und in Paris unterrichtet. Damit wird auch die Produktion in den Randgebieten Frankreichs gestützt.
Auffällig ist in Frankreich aber auch die Breitenwirkung von Film: Wenn Sie, wie ich eben heute, in Frankreich leben, hören sie im Radio jede Woche mehrere Stunden Gespräche über Filme. Während der Filmfestspiele in Cannes können Sie auch gerne rund um die Uhr Filmemacher über ihre Arbeiten diskutieren hören, oder am Fernseher ihre Treffen mitverfolgen. Frankreich übt da keinen Protektionismus aus. Es übt einfach nur seine eigene Kultur aus.
Man kann zur Zeit an französischen Filmen beobachten (z.B. ‚Patience Stone‘, der die Kriegsituation in Afghanistan reflektiert), wie Frankreich Filme mit Filmemachern in den unbeholfenen neuen Demokratien in Nordafrika produziert. Barroso scheint das entgangen zu sein: Dass nämlich der europäische Film seine Aufgabe als Vermittler der Kulturen wesentlich konziser wahrnimmt als die Amis.
6. Vielleicht hat noch niemand Barroso gesagt, dass er gar keinen Oscar als Nebendarsteller kriegen kann?
Welche Kultur die Amis zum internationalen Filmgeschäft beitragen, das sie in die Freihandelszone einbringen wollen, lassen immerhin Zahlen erahnen: Das Film-Förderungs-Budget der CIA und der US-Army liegen bei geschätzten 1,5 Mia, Mittel, mit denen man die Rolle Hollywoods als Propaganda-Hilfe anerkennt, und die man direkt oder indirekt in Filmproduktionen fliessen lässt. Das ist einiges mehr als ganz Europa für sämtliche Filme einsetzt. Damit lässt sich sehr frei handeln. Das erklärt auch, warum drei von vier Kriegsfilmen aus den USA stammen. Ob Barroso diesen Betrag der CIA und der US-Army auch vom Freihandelsabkommen ausnehmen lassen will, ist nicht bekannt.