Wochenendlich im Südtirol

Graun liegt in Italien. Trotzdem fühlt man sich dort wie in einem anderen Land: Man spricht deutsch.

Das Kloster in Müstair. (Bild: Lukas Mannhart)

Graun liegt in Italien. Trotzdem fühlt man sich dort wie in einem anderen Land: Man spricht deutsch.

Es ist weltbekannt, das Bild vom Kirchturm im Stausee. Das Mahnmal wider den Fortschritt ist in Graun im südtirolischen Reschensee zu finden, im Dreiländereck Schweiz, Österreich, Italien. Auch im Wissen über die tragische Geschichte des Bauwerks blickt man fasziniert, gar amüsiert auf den im Wasser stehenden romanischen Campanile aus dem 14. Jahrhundert.

Im Jahre 1950 war Schluss mit Alt-Graun am Reschenpass. Der Staudamm war fertiggestellt worden, die Schleusen wurden geschlossen. Zuvor war das gesamte Dorf – ausser dem Kirchturm – geschleift worden. Über 150 Gebäude wurden gesprengt, 650 Menschen verloren ihr Zuhause.

Durch den Stausee wurden 523 Hektaren Kulturland unwiederbringlich überflutet. Den ehemaligen Bewohnern von Graun, zumeist in der Landwirtschaft ­tätig, war die Existenzgrundlage entzogen worden, entschädigt wurden sie nur spärlich. Viele wanderten ab, bis heute hat die neu aufgebaute Ortschaft mit den Folgen der Überflutung zu kämpfen.

Kühe im Dorf

Als Ersatzeinnahmequelle dient der Tourismus. Im Sommer lassen sich im Vinschgau ausgedehnte Wanderungen unternehmen (der Badespass im auf etwa 1500 Höhenmetern gelegenen See hält sich bei Wassertemperaturen von 15° C in Grenzen), im Winter ist im schneesicheren Skigebiet mit 120 km Pisten für alle Ansprüche bestimmt die passende Piste zu finden, zudem wird das Natureis auf dem zugefrorenen See für Eisschnellläufer und Kitesurfer präpariert.

Mit etwas Glück kann man die Kühe durchs Dorf ziehen sehen. Freilich hat Neu-Graun selber nicht viel zu bieten, kein Haus ist über 70 Jahre alt. Da lohnt sich die kurze Reise passabwärts nach Glurns, wo in den letzten Jahrhunderten nicht viel geschehen zu sein scheint. Die gesamte Stadtmauer aus dem 16. Jahrhundert besteht noch vollständig, ist teilweise sogar begehbar. Mit knapp 900 Einwohnern ist Glurns eine der kleinsten Städte der Alpen, zu Recht zählt sie auch zu den schönsten.

Selbst der gesamte mittelalterliche Stadtkern innerhalb der Ringmauer ist bestens erhalten und zeugt von ehemaligem, durch Handel erworbenem Wohlstand. Die Cafés am Stadtplatz laden zu einem gemütlichen Umtrunk ein, von wo aus sich das gemächliche Treiben des Städtchens bestens beobachten lässt.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 21.06.13

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