Die Enklave Büsingen ist so bizarr wie idyllisch. Ein Besuch in «Deutschlands letzter Kolonie».
Berlin? Barcelona? Büsingen! Viel wurde über die kuriose Enklave schon geschrieben. Kaum eine Zeitung, die das Sommerloch nicht schon mit einer Reportage aus der kuriosen En- oder – je nach Blickwinkel – Exklave gestopft hätte. Auch um die Probleme mit dem harten Franken zu veranschaulichen, eignet sich das einzige deutsche Dorf mit eigenem KFZ-Kennzeichen hervorragend.
Büsingen ist vollständig von Schweizer Hoheitsgebiet umgeben. Schon die Habsburger wollten das durch einen Landabtausch ändern. Doch am 10. April 1693 entführten die Schaffhauser den im Junkerhaus residierenden Vogt Eberhard Im Thurn. Und liessen ihn erst nach sechs Jahren wieder frei. Zur Strafe sollte Büsingen «zum ewigen Ärgernis» habsburgisch bleiben. Heute gehört Büsingen zu Deutschland, viel weniger ärgerlich ist das für die Büsinger aber nicht.
Denn wirtschaftlich gehört Büsingen zur Schweiz. Offizielles Zahlungsmittel ist der Franken. Als ich noch Schüler war, konnte man im Dorfladen für 1.80 Franken eine Packung Zigis kaufen und diese auf dem Schulhof in Singen für 2.50 D-Mark verticken. Noch heute kauft man auf der Post deutsche Marken und bezahlt sie in Franken.
Früher musste man immer Pfennige in der Tasche haben, falls man mal eine Telefonkabine benutzen wollte. Heute hat es neben jeder deutschen auch eine schweizerische Zelle. Und die werden auch benutzt. Denn Büsingen ist die reine Roaming-Hölle. Das Netz wechselt von einem Stuhl in der «Alten Rheinmühle» zum nächsten: hier O2, da T-Mobile, mal zeigt der Handyscreen ein Strichli Orange oder Sunrise. Die Swisscom verfügt laut Versicherung mehrerer Auskunftspersonen über die lausigste Abdeckung in der Enklave.
Büsinger, die arbeiten müssen, tun dies fast ausschliesslich in der Schweiz. Ihre Steuern müssen sie allerdings in Deutschland zahlen. Fies: Für die Veranlagung wird das Einkommen in Euro umgerechnet. Noch schlimmer dran ist, wer Angestellter der örtlichen Sparkasse, Lehrer oder Kindergärtnerin ist. Dann bekommt man den Lohn nämlich in Euro. Was nichts anderes heisst, als dass man 20 Prozent weniger verdient als vor zwei Jahren. In Deutschland einkaufen mag das Leid etwas lindern, doch ist man als Büsinger den gleichen Beschränkungen unterworfen wie ein Schweizer. Kein Wunder, ist die Stelle der Kindergärtnerin praktisch ständig zur Neubesetzung ausgeschrieben.
Weil Deutschland keine Steuern auf Renten erhebt, bewarb der scheidende Bürgermeister Büsingen lange Jahre als Paradies für Schweizer Rentner. Mit den erwartbaren Folgen für den Altersschnitt im 1300-Seelen-Nest. Wer jung und bei normalem Verstand ist, hat sich längst in die Schweiz gerettet.
Touristen aber hat Büsingen einiges zu bieten: Da ist die idyllische Landschaft, durch die sich der hier noch gänzlich unverschmutzte Rhein schlängelt. Zwei Kursschiffe der Untersee und Rhein-Flotte steuern täglich auf Verlangen den Büsinger Landesteg an. Man kann natürlich auch mit dem Postauto anreisen, aber wer es nicht täglich machen muss, sollte unbedingt mit dem Schiff kommen. Der Preis ist identisch.
Ein Heidenspass ist es, mit dem Schiff hinauf nach Diessenhofen zu fahren, die Luftmatratze aufzupumpen und dann flussabwärts zum Büsinger Strandbad zu treiben. Das ist, anders als in Basel, wo der Rhein den Frachtern gehört, durchaus erlaubt.
Man kann in Büsingen auch Kamel-Trekking machen, aber lieber empfehle ich den Besuch eines Fussballspiels. Der FC Büsingen ist der einzige deutsche Fussballklub, der offiziell in der Schweiz spielt. Theoretisch könnte also eine deutsche Mannschaft Schweizer Meister werden. Bis in die 1. Liga hat es dieser FCB sogar mal geschafft.
- Anreisen: Mit dem Baden-Württemberg-Ticket ab Badischem Bahnhof nach Schaffhausen (5 Personen für 29 €).
- Anschauen: Die Landschaft.
- Absacken: Büsingens Beizen heissen «Adler», «Eder», «Kranz» und «Waldheim». Am gemütlichsten ist es aber im Strandbad.
- Ausspannen: Am stilvollsten nächtigt und speist man in der Alten Rheinmühle (15 Gault-Millau-Punkte).
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 20.04.12