Wochenendlich: In Hamburg

Hamburg ohne Reeperbahn und doch mit Rock ’n’ Roll? Kann man machen, Udo Lindenberg sei Dank.

Bevor man sich auf Udos Spuren in St. Georg begibt, kann man sich an seinen Likörellen laben. (Bild: Lukas Ritter)

Hamburg ohne Reeperbahn und doch mit Rock ’n’ Roll? Kann man machen, Udo Lindenberg sei Dank.

Sie müssen nicht Fussballfan sein, um ein tolles Wochenende in Hamburg zu erleben, es geht auch ohne FC St. Pauli und Reeperbahn. Der Shuttle vom Flughafen in die Stadt dauert nur knapp eine halbe Stunde, man muss kein Norddeutsch sprechen, die Piktogramme sind auch ohne Sprachkenntnisse zu verstehen, schnell sitzt man in der S1, die ins Stadtzentrum fährt.

Nach einer kurzen Nacht geniessen wir einen ausgiebigen Brunch in «Omas Apotheke» im Schanzenviertel. Wir erleben echte Gastfreundschaft, einen aufmerksamen Service und (Filter-)Kaffee bis zum Abwinken. Ein reichhaltiges Zmorge, auf Wunsch wird ein Glas Sekt serviert. Gestärkt ziehen wir zu Udo Lindenberg ins Museum für Kunst und Gewerbe. Dort sehen wir uns die Ausstellung über das künstlerische Schaffen des «Panikrockers» an, der seit Jahren im Nobelhotel Atlantic Kempinski an der Alster einquartiert ist.

Ausstellung über Udo Lindenberg

Die Schau bietet überraschende Einblicke in ein aussergewöhnliches Künstlerleben und lässt ein Stück deutsch-deutsche Vergangenheit Revue passieren. Die Ausstellung beleuchtet den Musiker, Texter, Komponisten, Maler, Menschen, Zeitgenossen und Wahlhamburger Udo Lindenberg. Sie macht mit über 400 Exponaten, Gemälden und Likörellen (Gemälde gemalt mit verschiedenfarbigen Likören und Feuerwassern), Songs und Interviewausschnitten, Texten, Fotografien den Unfassbaren fassbar. Zu den besonders kuriosen, umfangreichen Sammlungsgegenständen gehören auch einige Stasi-Akten sowie ein Brief von DDR-Staatschef Erich Honecker, der sich für eine geschenkte Lederjacke bedankt.

Was ich als langjähriger Udo-Fan sicher nicht tun werde: den am Eingang erhaltenen Coupon für ein Upgrade beim Kauf eines Tickets für das erfolgreiche Musical «Hinterm Horizont» einlösen. Zu stark wäre der Schmerz, einer Kopie beim Singen zuhören zu müssen. Zumal das Original mit 65 glücklicherweise selber wieder auf grosse Europa-Tournee geht.

Turnhalle als Restaurant

Nach vier Stunden Museumsbesuch spazieren wir durch Udos Wohnquartier. Die «Lange Reihe» ist die längste, bunteste und lebendigste Einkaufsstrasse im Hamburger Stadtteil St. Georg, mit schönen Geschäften und Kneipen. Jetzt, wo sich der Frühling ankündigt, sind die Trottoirs an sonnigen Tagen voller Tische und Stühle. So kann man sich das bunte Treiben anschauen. Hans Albers, das schauspielende und musikalische Stadtoriginal, wurde 1891 im Haus Lange Reihe 71 geboren. Eine Gedenktafel erinnert daran.

In der Nähe der Alster erreichen wir die «Turnhalle». Dieses Restaurant wurde in die Turnhalle einer ehemaligen Mädchenschule eingebaut. Von der Decke hängen noch die ausgedienten Affenschwänze. Die alten Bogenfenster wurden erweitert und Türen eingesetzt, die Garderoben von gestern sind der Eingangsbereich von heute. Der Andrang ist gross, zum Warten wird man aufs Sofa oder an die Bar beordert. Hier findet man für jedes Budget eine Verpflegung, wir schlagen uns die Bäuche voll und geniessen die Stimmung in diesen hohen Hallen. Einige Zeit später sinken wir mit prall gefüllten Bäuchen in unsere Betten.

Hamburg, wir kommen wieder!

  • Anzapfen: Frau Möller, Lange Reihe 96.
  • Anbeissen: Omas Apotheke, Schanzenstrasse 87. Turnhalle St. Georg, Lange Reihe 107. 
  • Anschauen: Udo, die Ausstellung. Verlängert bis 9. April 2012 im Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz 1, beim Hauptbahnhof.
  • Ausspannen: Hotel George (Designhotel), Barcastrasse 3.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 23.03.12

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