Wochenendlich in Lissabon

Auf den Spuren des Autors und Spaziergängers Fernando Pessoa lässt sich gemütlich die Stadt erkunden.

(Bild: Simone Lappert)

Auf den Spuren des Autors und Spaziergängers Fernando Pessoa lässt sich gemütlich die Stadt erkunden.

Ein Tag, an dem die Aprilsonne aus dem Frühling frühen Sommer macht und nur der aufgebrachte Wind daran erinnert, eine Jacke mitzunehmen, an dem die wettergegerbten Fassaden die Wärme speichern bis in den kühlen Abend hinein und der Tejo etwas Meerhaftes vortäuscht in der Ferne, ein solcher Tag ist wie geschaffen für einen Spaziergang durch Lissabon, auf den Spuren Fernando Pessoas, des Dichters, der dieser Stadt eigens einen Reiseführer gewidmet und ihr zeitlebens auch etwas Dörfliches attestiert hat.

Die engagierte Spazierleiterin Simone Klein wartet am zentralen Largo do Chiado, vor dem Café A Brasileira. Hier sitzt der menschenscheue Pessoa in Bronze gekleidet an der Sonne und muss sich von bleichbeinigen Touristinnen in Hotpants fürs Foto auf die Wange küssen lassen. Regenwetter, meint Simone Klein, sei dem Schriftsteller eigentlich lieber gewesen. Sie führt uns, begleitet von verschiedensten Auszügen aus Pessoas Werk, vom dortigen Touristentrubel durch die Lissabonner Oberstadt, vorbei an Pessoas Geburtshaus, das nur wenige Schritte vom «A Brasileira» entfernt liegt, und weiter zu einer seiner späteren Wohnstätten am Largo do Carmo, über eine der vielen Treppen am Stadtbahnhof vorbei hinunter in die flussnahe Baixa und in die schattige Nachmittagsstille der friedlichen und über die Jahre kaum veränderten Rua dos Douradores, die Strasse der Vergolder, von der es im «Buch der Unruhe» heisst: «Hätte ich die Welt in der Hand, tauschte ich sie, dessen bin ich sicher, gegen eine Fahrkarte zur Rua dos Douradores ein.»

Dörfliches Gesicht

Hier zeigt Lissabon mit leeren Parkbänken und zerzausten Bäumen sein stilles, sein dörfliches Gesicht; nur um sich ein paar belebte Strassen weiter flusswärts, am Praço do Comércio, wieder grossstädtisch prunkvoll, ja fast verschwenderisch zum Tejo hin auszuweiten. Hier am Platz, im «Martinho da Arcada», ging Pessoa ein und aus, drinnen, im Kühlen, wo jetzt, an diesem Frühsommertag niemand sitzen will, sich in Tellern und Besteck aber schon der abendliche Speiselärm versteckt, hier wird für Pessoa ein Gedeck bereitgehalten, als könnte er jederzeit zur Tür hereinspazieren. Die Wände zieren Erinnerungen an den Dichter: Fotos, Briefe, Manuskriptauszüge.

Draussen steht ein tiefer gelegter Sportwagen an der Ampel, die bleichbeinigen Touristinnen überqueren die Strasse. Aus dem Sportwagenfenster dringt schwermütiger Fadogesang, jene Musik, die der «Saudade» Ausdruck verleiht, jenem sehnsüchtigen Weltschmerz, der auch Pessoa nicht fremd war: Auf einer kleinen Tafel neben der Tür wird sein Heteronym Alvaro de Campos mit folgendem Satz zitiert: «Ah, todo o cais é uma saudade de pedra!» – «Der ganze Kai», übersetzt uns Simone Klein, «ist Sehnsucht aus Stein!»

Nach fast drei spannenden und atmos­phärischen Stunden, in denen sie kaum eine Frage unbeantwortet gelassen hat, verabschiedet sie sich herzlich und verschwindet in einer der unzähligen Lissabonner Strassen, die es noch zu entdecken gibt.

  • Eintauchen: Vor dem Kaffeehaus A Brasileira am Largo do Chiado die Stadtführerin treffen. www.luaverde.com.
  • Einlesen: Fernando Pessoa: «Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares».
  • Einkehren: Im «Martinho da Arcada».

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 26.04.13

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