Wochengedicht #11: Urs Allemann

In dieser Rubrik stellt Rudolf Bussmann jede Woche Lyrik vor. Heute beschäftigt er sich mit «auer. kahl kahler kah.», einem Gedicht des Basler Autors und Poesie-Performers Urs Allemann. Urs Allemann. (Bild: zVg)   auer. kahl kahler kah. 1  kopfastiges gea. nu bätter, nu aub.2  fotter einfa. geich nachegn, os.3  ob woauts. aëwei iebich fiest / […]

Urs Allemann.

In dieser Rubrik stellt Rudolf Bussmann jede Woche Lyrik vor. Heute beschäftigt er sich mit «auer. kahl kahler kah.», einem Gedicht des Basler Autors und Poesie-Performers Urs Allemann.

Urs Allemann.

Urs Allemann. (Bild: zVg)

 

auer. kahl kahler kah.

1  kopfastiges gea. nu bätter, nu aub.
2  fotter einfa. geich nachegn, os.
3  ob woauts. aëwei iebich fiest / hoddr kangscheim.
4  schummeriedchn. schaf end ich, häs ein.
5  fock wi / me odi.
6  ippe füstert eises ied. gfätts, gückt schagr.
7  vieh gfüh a so schecht.
8  ürikutschers oïpop.
9  odern gewattige fammen: iederjans eidust.
10  verotterter siebenkauber.
11  ma ustvo ma ustos gepappr. ein fasoses gepänk.
12  iiquid absa.
13  festgestätt abschiessend üriker eier verohren

 

– Ist das etwa Deutsch, dieses Gestammel? Da versteht einer ja kein Wort.
– Fast keines. «kahl» oder «vieh» ist ja doch verständlich, und auch der Satzbau ist unverkennbar. Was sonst wäre es, wenn nicht Deutsch?
Die Sprache verrät sich, auch wenn sie verstümmelt ist. Vielleicht ist sie auch gar nicht verstümmelt, sondern verändert. In einem Gedicht pflegen verbindliche Regeln zu herrschen, warum nicht auch in diesem, das so unbekümmert daher fuhrwerkt? Der Titel enthält die Steigerung «kahl kahler», es fehlt «am kahlsten». Statt seiner stehen die Worte «kah auer» bereit, die Reihe heisst «kahl kahler kahlauer». Ein L, am richtigen Ort eingesetzt, und fertig ist der Kalauer. Ob das Einsetzen eines Buchstabens eine der Regeln ist, die sich das Gedicht selber verschreibt? Das erste Wort, «kopfastig», lässt sowohl an Äste als auch an das ähnlich lautende kopflastig denken. Wiederum ist es ein ergänzendes L, das diese Bedeutung erschliesst.

Schüsse gefunden!

Offensichtlich ist der Buchstabe L der Schlüssel, der zum Verständnis der einzelnen Wörter beiträgt. Die erste Zeile, ergänzt durch die fehlenden Ls, lautet so: Kopflastiges Gelall. Null Blätter, null Laub. Das ist nun verständlich. Aber ohne Zusammenhang. Weshalb ist von Blättern die Rede? Die Antwort steht im Text des Gedichts: Das Wort «kopfastig» zieht das Bild von Laub nach sich. Ein kahles Gelalle ohne füllendes Blattwerk sei dies – so die Aussage des Bildes. Stimmt! Erst müssen elf Ls an die Leerstellen gehängt werden, damit aus dem Gestammel herkömmliche Wörter werden.

Ob sich die Wörter in der Zeile zwei mit demselben Verfahren erschliessen lassen? Flotter Einfall. Gleich nachlegen, los! Das ist mehr als ein Satz, das ist eine Aufforderung. Nun denn, ab geht’s durch alle 13 kalauernden Sätze. Das Holpern hat ein Ende, der Fluss der Sprache ist wiederhergestellt.

Lollipoplutscher

Der Volltext bringt nicht einfach nur ein Gedicht hervor, das ursprünglich vollständig war und bei dem der Autor einen bestimmten Buchstaben ausgelassen hat, um die Leserschaft ein bisschen zu verwirren. Was in ihm zum Vorschein kommt, ist vielmehr eine pointierte Absage an eine gewisse Art Literatur. Zeile drei macht sich über das inhaltslose Lob des Wohllauts lustig und liefert mit dem Satz Alleweil lieblich fliesst / holder Klangschleim gleich ein anschauliches Exempel. Drei Zeilen später wird unter den Wortruinen «ippe füstert eises ied» der gefällige Vers Lippe flüstert leises Lied sichtbar, gefolgt von der trockenen Feststellung: Gefällts, glückt Schlager. Der Kurzkommentar verweist die falsche Romantik des Verses in das Reich des Trivialen und Kommerziellen.

Das Gedicht setzt alles daran, nicht in die Nähe der geschniegelten Verse zu geraten. Auf keinen Fall will es zu dem werden, was Zeile acht auf die Kurzformel Lyriklutschers Lollipop bringt. Gerade das Hinzufügen des angenehm weichen L-Lauts macht bewusst, wie konsequent sich seine rau-widerspenstige Gestalt von der geschönten Version absetzt. Die beiden Versionen sind antithetisch aufeinander bezogen und ergänzen sich gegenseitig. Es sind zwei Fassungen ein und desselben Gedichts, die zusammen gelesen zu dessen Gesamtaussage führen.

Verlorene Eier

Die Lesefassung trägt ihre kritische Grundhaltung nicht offen zur Schau, sondern gibt sie erst in der Weichmacher-Variante zu erkennen. Sie stellt nicht das Gespött in den Vordergrund. Ihr Gegenstand ist die eigenwillig verspielte Suche nach einer Sprache, die sich ausdrückt, ohne in bekannte Muster zu verfallen oder sich in den Dienst einer Botschaft zu stellen, die man liest und vergisst. Die Suche findet ihren eigenen Rhythmus, entwickelt ihren eigenen Witz. Sie schlägt sich nieder in der Form von 13 Sprachrätseln, von denen das letzte festhält, was im Grund auf dem Spiel steht: die Glaubwürdigkeit dessen, der schreibt, seine schöpferische Potenz. Seine Eier, wie das Gedicht unzimperlich festhält.

– Aber bitte! Wenn in der Schlusszeile das L eingesetzt wird, lautet sie ganz anständig Festgestellt abschliessend Lyriker Leier verloren.
– Und hier steht aber: «üriker eier verohren». Von der Leier spricht nur der durch das L veredelte Subtext. Der Wortlaut des Gedichts drückt lapidar und direkt aus, worum es geht: dass sich selber kastriert, wer nicht auf seine authentische Art und Weise zu schreiben wagt.

Das Gedicht stammt aus Urs Allemanns jüngstem Gedichtband «im kinde schwirren die ahnen», 2008 bei Urs Engeler Editor erschienen. Der Band enthält eine CD, auf der Urs Allemann, der sich auch als Rezitator einen Namen gemacht hat, seine Gedichte liest. Der Lyriker und Prosaist, geboren 1948, lebt in Reigoldswil BL. Für sein lyrisches Werk, das inzwischen vier Publikationen umfasst, wird ihm am 25. Juni in Linz der Heimrad-Bäcker-Preis 2012 verliehen.

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