Wochengedicht #46: Werner Lutz

Hat verjubeln mit Jubel zu tun? Der in Basel ansässige Lyriker Werner Lutz geht in unserem heutigen Wochengedicht unter anderem dieser Frage nach. Die Hälfte des Kreises verjubeltund die Hälftedes Jubels verschenkt «Die Hälfte des Kreises verjubelt» – das kann nur auf das Leben gemünzt sein. So hebt ein Gedicht an, das eine düstere Bilanz […]

Wochengedicht

Hat verjubeln mit Jubel zu tun? Der in Basel ansässige Lyriker Werner Lutz geht in unserem heutigen Wochengedicht unter anderem dieser Frage nach.

Die Hälfte des Kreises verjubelt
und die Hälfte
des Jubels verschenkt

«Die Hälfte des Kreises verjubelt» – das kann nur auf das Leben gemünzt sein. So hebt ein Gedicht an, das eine düstere Bilanz zu ziehen sich anschickt. Im Moment, wo der Lebenskreis sich zu schliessen beginnt, werden die vertanen Chancen offenbar, die Stunde der Wahrheit ist da. Und die Wahrheit ist bitter: War nicht selbst der Genuss, der beim Verjubeln doch immerhin anfiel, zur Hälfte «verschenkt», vergeudet, zerronnen? Viel ist letztlich nicht geblieben. Von Ferne klingt die biblische Klage von Prediger Salomo an: «Da ich aber ansah alle meine Werke, die meine Hand getan hatte, und Mühe, die ich gehabt hatte, siehe, da war es alles eitel und Haschen nach Wind und kein Gewinn unter der Sonne.» (2.11.)

Verjubelt oder gejubelt?

Aus den Scherben, die zu Beginn mit dem Adjektiv «verjubelt» assoziiert werden, rettet das Gedicht zwei Zeilen später das Substantiv «Jubel». Dieses wirft neuen Glanz auf all das, was vor und nach ihm steht. Zunächst auf das Wort «verschenkt», das seine eigentliche Bedeutung zum Geschenk machen zurückgewinnt: Am Jubel, der als verloren beklagt wird, hatten andere Mitjubler teil. Das Leben war nicht nur ein verprasstes, sondern auch eines, in dem Feiern und Glücklichsein ihren Platz hatten und die Freude auf andere übersprang.

Verdüstert anfänglich das Wort «verjubelt» das nachfolgende Gedicht, erfährt es nun gleichsam von seinem Kern her eine Veränderung. Verjubeln heisst auch jubeln – die eine Bedeutung hebt die andere nicht auf, die Ambivalenz ist dem Wort eingeschrieben. So dass im Gedicht, auch wenn dieses nicht einfach eitler Freude Ausdruck gibt, doch ein verhaltenes Triumphieren mitschwingt.

Werner Lutz, 1930 in Wolfhalden (AR) geboren, ist gelernter Grafiker und hat als Zeichner und Maler ein bedeutendes Werk geschaffen. Seine Lyrik publizierte er mit grossen Unterbrüchen, inzwischen sind acht Bände entstanden. Das Gedicht stammt aus dem soeben erschienenen Buch «Treibgutzeilen», das Teil der Werkausgabe ist, die im Frauenfelder Waldgut Verlag erscheint. Werner Lutz lebt und arbeitet in Basel und Binningen. 2010 wurde er mit dem Basler Lyrikpreis geehrt.

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