Wochenstopp: Blaue Stunde

Das neuste Projekt von Balthasar Streiff lässt in Augusta Raurica dreissig Alphörner erklingen.

Balthasar Streiff verspricht ein «musikalisches Begleiten des Dunkelwerdens». (Bild: Muriel Steiner)

Das neuste Projekt von Balthasar Streiff lässt in Augusta Raurica dreissig Alphörner erklingen.

Einst dichtete Gottfried Benn über die «Blaue Stunde», die nicht mehr Tag und noch nicht Nacht ist, und «wenn sie ging, weiss keiner, ob sie war.» Mit der Poesie der Dämmerung beschäftigt sich auch Balthasar Streiff in seinem neuen Musikprojekt. «Wir urbanen Menschen nehmen den Wechsel vom Tag zur Nacht viel zu selten wahr», sagt der Basler Musiker und Kom­ponist und gibt lachend zu: «Gewöhnlich mache ich einfach das Licht an, um weiter arbeiten zu können.»

Dennoch weiss er um das Besondere dieses alltäglichen Prozesses: «Das Einnachten bedeutet für uns Menschen immer noch das Ende des Tages, eine Art Abspannen. In der Natur aber werden viele Tiere erst jetzt ­aktiv. In der Dunkelheit sehen wir immer weniger – das verunsichert uns, weckt unsere Ängste. Das Dunkelwerden hat immer auch mit einem Verlust an Kontrolle zu tun.»

Dunkelwerden in Augusta Raurica

Um dieses Naturphänomen bewusst wahrnehmen zu können, muss man dem Stadtlicht entfliehen und besondere Orte aufsuchen. Zum Beispiel Augusta Raurica. Ein weiter Himmel spannt sich über das 2000 Jahre alte römische Theater; viele nachtaktive Tiere tummeln sich in der ­Gegend. Hier konzipiert Streiff seine «Blaue Stunde», «ein musikalisches Begleiten des Dunkelwerdens», wie er erklärt.

Nicht weniger als dreissig Alphörner ­werden erklingen, darunter das bekannte Ensemble Hornroh. Alphörner in einem ­antiken Freilichttheater? «Ja, das Alphorn ist dafür prädestiniert», sagt Streiff. «Es ist nicht laut, hat aber im Freien eine grosse Resonanz, sein Klang trägt sehr weit.» Auch Schlagwerker werden dabei sein und traditioneller Gesang aus Schweden: «Kulning ist vergleichbar mit unserem ­Naturjodel, ein sehr hohes Singen ohne Text. Damit ruft man noch heute die Tiere», erklärt Streiff.

Ganz ohne Licht gehts nicht

Ob sich auch Baselbieter Tiere anlocken lassen? Streiff verrät nur so viel: «Wir zeigen eine Geschichte, die eng mit diesem Ort ­verknüpft ist.» Damit ist die klassische ­Bühnensituation ebenso gemeint wie die Offenheit des Ortes nach aussen hin. Das Einnachten wird auch mit Lichtspielen ­begleitet: «Sehr reduziert, sehr bewusst ­setzen wir auch elektrisches Licht ein. Es gibt viele Leute auf der Bühne, ein Musikspiel, das in Szene gesetzt wird. Die grosse Verdunklung ist ein geführter Prozess.»

Für die szenische Umsetzung ist Niggi Ullrich, der Baselbieter Kulturbeauftragte, verantwortlich. Er hat die kantonalen ­Gelder für dieses Projekt gesprochen – um künstlerisch Einfluss zu nehmen? «Nein, ich konnte völlig frei konzipieren», sagt Streiff. «Aber Augusta Raurica ist ein komplexer Ort; er ist sehr weitläufig, man muss sich auskennen», erklärt Streiff, «und das tut Niggi Ullrich wie kein Zweiter.»

Weitere Informationen zur Veranstaltung «Blaue Stunde».

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 14.09.12

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