Wochenthema: Der neue Kampf gegen die Schwachen

Wieder dominieren Begriffe wie «Sozialschmarotzer» und «Sozialhilfe-Industrie» die Debatte. Vernünftige Argumente gehen unter in der Hysterie. Sozialhilfe-Industrie: Es war eine Frage der Zeit, bis dieses hässliche Wort wieder hochgespült würde. Seit Tagen übertreffen sich Medienschaffende beim Fahnden nach «teuren Fehlern» im Sozialhilfesystem. Dieses, so ein oft kolportierter Vorwurf, bekämpfe Armut nicht, sondern produziere noch mehr […]

Einmal mehr ist die mediale Jagd aufs Sozialhilfesystem eröffnet. Dieses bekämpfe Armut nicht, sondern produziere nur noch mehr Arme. Wirklich?

Wieder dominieren Begriffe wie «Sozialschmarotzer» und «Sozialhilfe-Industrie» die Debatte. Vernünftige Argumente gehen unter in der Hysterie.

Sozialhilfe-Industrie: Es war eine Frage der Zeit, bis dieses hässliche Wort wieder hochgespült würde. Seit Tagen übertreffen sich Medienschaffende beim Fahnden nach «teuren Fehlern» im Sozialhilfesystem. Dieses, so ein oft kolportierter Vorwurf, bekämpfe Armut nicht, sondern produziere noch mehr Arme. Ganz nach dem Motto: Das Angebot schafft die Nachfrage. 

In dieses Weltbild fügen sich angebliche «Sozial­schmarot­­zer» bestens ein. Oder «Sozialhilfetouristen». Damit sind Leute gemeint, die  ihre Wohngemeinde nach den jeweils lukrativsten Hilfsangeboten aus­suchen. Eine Basler Zeitung ortete hier jüngst ein Riesenproblem – bis eine andere Basler Zeitung diese These widerlegte.

Wochenthema: Immer wieder grüsst der Sozial-Irrsinn
Lesen Sie mehr in der Wochenausgabe vom 3. Oktober – auf Papier oder in der App der TagesWoche.

Was läuft schief in der Sozialhilfedebatte? Warum faszinieren uns angebliche Sozial­miss­stände so sehr, wo es doch ziemlich gut läuft? «Es ist eine Gehirnwäsche im Gang – auch wenn dies viele Leute nicht wahrhaben wollen», sagt «Surprise»-Geschäftsführerin Paola Gallo. Statt Armut bekämpfe man heute die Armen.

Was in der Empörung völlig untergeht, ist die langfristige Sicht der Dinge.

Aktuell unter die Räder geraten sind die vor zwei Jahren per Volksentscheid eingeführten Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (Kesb), die das alte Vormundschaftswesen ablösten. Statt Laien kümmern sich heute Profis um das Schicksal von Menschen, die nicht allein für sich sorgen können.

Eine sinnvolle ­Sache. Doch dummerweise kostet das professionalisierte System mehr Geld – darum wird es bereits nach wenigen Monaten radikal in Frage gestellt.

Was in der Empörung völlig untergeht, ist die langfristige Sicht der Dinge. Natürlich kosten die neuen Kesb mehr Geld. Natürlich gibt es grossen Optimierungsbedarf.

Doch was passiert, wenn junge Menschen nicht frühzeitig professionell betreut werden? Vielleicht finden sie keinen Job, werden fürsorgeabhängig oder gar straffällig. Und das verursacht viel höhere Sozialkosten.

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Weitere Themen in der Ausgabe 40/2014:

Mónica Wohlwend – ganz persönlich
Die Leiterin macht am Kindertheater Basel schüchterne Mäuschen zu strahlenden Bühnensternen. Sie selbst hat nie das Rampenlicht gesucht.

«Ich spüre eine Erleichterung»
Der Basler Uni-Rektor Antonio Loprieno tritt überraschend zurück. Im Interview erläutert er die Gründe und sagt, weshalb er trotz Rücktritt an der Uni bleiben möchte.

Gewerbe fürchtet Verdrängung
Nach der Abstimmung über die Basler Stadtrandentwicklung geht die Suche nach Wohngebieten von vorne los. Das bringt Unternehmen unter Druck.

Das Warten aufs dringend benötigte Geld
Das Baselbiet kann Stipendien zurzeit nur mit Verzögerung ausbezahlen. Eine schwierige Situation für Studenten.

«Eine grosse Gehirnwäsche»:
Paola Gallo, Geschäftsleiterin des Vereins «Surprise», über die neue Armut in der Schweiz, Kampagnen gegen die Sozialhilfe und ihren Weg vom Migrantenkind zur Chefposition.

Jeder für sich und alle gegen die Flüchtlinge
Es wird Zeit, dass sich die Schweiz und Europa auf eine gemeinsame Flüchtlingspolitik verständigen. Eine Analyse von Georg Kreis.

Schmetterlinge im Drogenkrieg
In Buenaventura herrschen Drogenkartelle. Frauen leiden unter ihrer Gewalt. Eine Gruppe hält nun dagegen.

«Hans, machs kurz, wir haben Durst!»
Gjergjaj ist nicht der erste erfolgreiche Basler Boxer: Hans K.o.-Müller wäre 1948 beinahe Olympiasieger geworden.

Der Stoff, aus dem die Filme sind
Aktuell werden mehr Bücher verfilmt denn je. Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen von der ­Hollywoodkrise bis zum Marketing.

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