Tessa Worley belohnt sich mit dem zweiten WM-Titel im Riesenslalom selber. Damit enden für die Französin auf dem Weg zurück an die Spitze zwei schwierige Jahre.
Mitte Dezember 2013. Tessa Worley gewinnt drei Jahre nach ihrem ersten Sieg auf der Corviglia zum zweiten Mal den Weltcup-Riesenslalom in St. Moritz. Freuen darüber kann sie sich nicht einmal 48 Stunden. Zwei Tage später ist die Saison für sie zu Ende und sind die Olympischen Spiele in Sotschi kein Thema mehr. Bei einem Sturz im Slalom in Courchevel zieht sie sich einen Kreuzbandriss und Meniskusschäden im rechten Knie zu.
Enttäuschungen und Rückschläge
Tessa Worley kehrte zwar im folgenden Herbst beim Prolog auf dem Rettenbach-Gletscher oberhalb von Sölden mit einem 7. Rang sehr ansprechend in den Weltcup zurück. Nach dem gelungenen Comeback fand sie den Tritt aber nicht mehr. Es folgten Zeiten mit Enttäuschungen und Rückschlägen. Ganze zwei Saisons lang musste Tessa Worley unten durch. Podestplätze blieben aus. Zu mehr als gelegentlichen Klassierungen in den ersten zehn reichte es nicht. Sie wurde ungewollt zu einem Beispiel dafür, dass Erfolg ohne Selbstvertrauen nicht möglich ist.
Trotz der schwierigen Phase setzte Tessa Worley ihren Kampf fort. Die Überzeugung, den Wiederanschluss an die Spitze schaffen zu können, liess keinen Platz für (Selbst-)Zweifel oder Gedanken an einen möglichen Rückzug aus dem Spitzensport. Auf dem Weg zurück liess sie sich von ihrem Glauben an die eigenen Fähigkeiten leiten. Der zehn Monate vor dem folgenschweren Umfaller in Courchevel gewonnene erste WM-Titel im Riesenslalom und die bis dahin errungenen acht Weltcup-Siege waren ihr Zeichen und Motivation genug, dereinst wieder zu den besten «Riesen»-Fahrerinnen zu gehören.
Dominanz auch im Weltcup
In diesem Winter war es soweit. Tessa Worley fand zurück in die Erfolgsspur. Im vergangenen November gewann sie bei der Weltcup-Premiere in Killington im US-Staat Vermont den Riesenslalom – und war seither mit zwei weiteren Siegen und drei 2. Plätzen die dominierende Athletin in dieser Disziplin. Die Hochform vermochte sie für den Saisonhöhepunkt in St. Moritz zu konservieren. Sie war auch am Tag X bereit, ihre Bestleistung abzurufen.
«Alles hat geklappt, wie ich es mir vorgenommen hatte.» Druck hatte sie nicht nur von aussen verspürt, Druck hatte sie sich auch selber gemacht. «Alle haben Gold erwartet, auch ich selber.» Trotzdem vermochte sie die Ruhe zu bewahren. «Ich habe versucht, den Moment zu geniessen. Vor den zwei Läufen habe ich alle Energie dafür aufgewendet, um fokussiert zu bleiben.»
Die Basis zum Gewinn der zweiten Goldmedaille innert drei Tagen nach jener mit Frankreichs Equipe im Team-Wettkampf legte sie mit klarer Bestzeit im ersten Lauf. Am Nachmittag verwaltete sie den Vorsprung auf souveräne Weise. Tessa Worley, mit 1,57 Meter eine der Kleinsten im Kreis der besten Riesenslalom-Fahrerinnen, ist endgültig wieder die Grösste. Vier Jahre nach ihrem ersten Titelgewinn in ihrer Lieblingssparte liess sie am Donnerstag den zweiten folgen.
Sieben Jahre Winter
Die Weichen für Tessa Worleys Alpin-Karriere wurden früh gelegt – oder zumindest für die Liebe zum Skisport. In ihrer Kindheit kannte die Tochter einer Französin und eines Australiers nur den Winter. Ihre Eltern pendelten während Jahren in der jeweils kalten Jahreszeit zwischen Frankreich und Neuseeland hin und her. Sesshaft wurden die Worleys, als Tessa siebenjährig war. In Le Grand-Bornand in Hochsavoyen wohnt die seit acht Jahren mit dem Slalom-Spezialisten Julien Lizeroux liierte zweifache Riesenslalom-Weltmeisterin noch heute.