Am Dienstag kämpft Mönchengladbach gegen Frankfurt um den Finaleinzug im deutschen Cup. Im Vorfeld sprachen Yann Sommer und Nico Elvedi über den besonderen Mythos im Traditionsklub.
Der Pay-TV-Sender Sky macht die Hennes-Weisweiler-Allee 1 am Sonntag nach dem 2:3 gegen Dortmund zum Hauptschauplatz. Nicht Mönchengladbachs Rückschlag in der Liga ist das Thema, das Cup-Halbfinal-Highlight gegen Frankfurt steht im Fokus der Meinungsmacher.
Michael Klinkert, vor 22 Jahren der letzte VfL-Captain mit einer Trophäe in der Hand, spricht vor der Kamera über vergangene Zeiten. Der fünffache Meister-Goalie Wolfgang Kleff schwelgt in schönen Erinnerungen.
Zwei Hauptdarsteller der Gegenwart kommen nicht aus der Tiefe des Raums, sondern vom angrenzenden Trainingscampus: Keeper Yann Sommer und Nico Elvedi, einer der talentiertesten Aussenverteidiger der europäischen Top-Ligen, sprechen im Interview mit der Nachrichtenagentur sda über ihr intensives Fussball-Leben im Weltmeisterland Deutschland.
«Introvertiert, aber inzwischen offener, abgeklärt und sehr souverän. Gegen ihn tun sich auch ganz Grosse sehr schwer. Ich bin überzeugt von ihm, da kommt noch mehr. Er kann es weit bringen», prophezeit Sommer seinem 20-jährigen Teamkollegen.
«Für mich ist er einer der besten Bundesliga-Goalies. Er ist in jeder Sekunde anspielbar, wird nie nervös, rettet uns immer wieder und gibt uns die Chance zu gewinnen. Yann ist für alle Vorbild und Leader – ein Teamplayer durch und durch», sagt der junge Stammspieler über die unangefochtene Nummer 1 der Borussia.
In Deutschland pflegen die einheimischen Profis zu sagen, sie seien ein Kind der Bundesliga. Was sind Sie?
Nico Elvedi: «Ich hatte mir relativ früh das Ziel gesetzt, in der Bundesliga zu spielen. Ein Kind der Liga bin ich natürlich nicht, aber sagen wir es so: Ich bin als Jugendlicher nach Deutschland gewechselt und hier inzwischen erwachsen geworden.»
Yann Sommer: «Die Bundesliga faszinierte mich schon als Bub. Bei mir war die Sportschau am Samstagabend früher ein Fixtermin. Ich habe die deutsche Meisterschaft immer als grosse Liga wahrgenommen. Während meinen bald drei Jahren in Gladbach habe ich sie noch mehr schätzen gelernt und realisiert, wie ausgeprägt der Stolz der Einheimischen ist, Teil dieser Show zu sein, und wie behutsam sie gleichzeitig mit der über Jahrzehnte aufgebauten Tradition umgehen.»
Die Elf vom Niederrhein ist tief verankert in der deutschen Fussball-Historie, der Mythos um den Verein ist greifbar.
Elvedi: «Mit den Erfolgen der Siebzigerjahre kommt jeder hier irgendwann auf irgendeine Weise in Berührung. Mir sind die grossen Siege der legendären Fohlenelf schon auch bewusst.»
Im Duell mit der Eintracht Frankfurt spielt die Borussia um den ersten Finaleinzug seit 1995. Ist im Umfeld eine erhöhte Betriebstemperatur auszumachen?
Elvedi: «Die Anspannung ist grösser als üblich, die Partie ist für den Klub, das Team, die Fans ausserordentlich wichtig. Ich spüre den enormen Willen, unbedingt wieder etwas gewinnen zu wollen. Jedem Einzelnen ist die Chance bewusst, Geschichte schreiben zu können.»
Im Foyer des Stadions sind in den Vitrinen die Trophäen der alten Ikonen ausgestellt, in den Katakomben sind die Wände teilweise mit Dokumenten der Vergangenheit tapeziert. Was lösen die Erinnerungen bei Ihnen aus?
Sommer: «Die grosse Vergangenheit gehört zur Borussia. Mir gefällt die Würde im Umgang mit den gloriosen Zeiten. Wir werden ja von ganz unterschiedlichen Generationen begleitet. Auch die Fans aus den goldenen Epochen, die alles erlebt haben, schauen uns zu.»
Im Cup fehlen Ihnen zwei Siege zum wichtigsten VfL-Triumph seit 22 Jahren.
Sommer: «Die zwei Champions-League-Teilnahmen sollte man nicht ausklammern, aber am Ende zählen eben primär die Titel, die bleiben für immer auf der Visitenkarte – das hat ein ehemaliger FCZler wie Nico vielleicht nicht mehr so präsent (lacht). Schöne Spiele allein genügen nicht, die Ansprüche sind auch in Mönchengladbach gestiegen.»
Apropos Ansprüche – nicht nur im Borussia-Park sind mehrere Schweizer engagiert, die Exponenten der zuletzt an nahezu jeder Endrunde vertretenen SFV-Auswahl geniessen im Ausland einen exzellenten Ruf.
Elvedi: «An der Basis wird in unserem Land erstklassige Arbeit geleistet. Das Selbstbewusstsein kommt nicht von ungefähr, den internationalen Respekt haben wir uns hart erarbeitet.»
Ist der Aufschwung auch eine Frage der Mentalität?
Sommer: «Der Multikulti-Faktor tut uns generell sehr gut. Bei uns fliessen Inputs aus den verschiedensten Teilen der Erde mit ein, der internationale Touch steht dem Team gut an; die Zusammensetzung ist überaus befruchtend.»
Elvedi: «Ich profitierte schon als U17-Nationalspieler von einer vergleichbaren Konstellation. Aber trotz unserer selbstsicheren Haltung ist immer auch eine gewisse Bodenständigkeit spürbar.»
Eine vierte WM-Teilnahme in Serie bahnt sich an.
Sommer: «Die Ausgangslage mit dem Punktemaximum nach halbem Pensum ist in der Tat sehr gut. Aber an eine Endrunde spaziert niemand – auch wir nicht und schon gar nicht mit Portugal in der Gruppe.»
Planbar ist im Fussball tatsächlich nichts, und wie relativ sich alles plötzlich anfühlen kann, zeigten die gravierenden Geschehnisse rund um Ihren Dortmunder Nationalteamkollegen Roman Bürki.
Sommer: «Ein solcher Anschlag prägt einen wahrscheinlich für immer, die Situation war lebensbedrohlich. Ich habe nach den Ereignissen Roman geschrieben.»
Die Bombenexplosion bewegte ganz Deutschland. Hat Sie die Attacke gegen eine andere Bundesliga-Mannschaft noch mehr berührt? Sie sind selber exponiert und sitzen Woche für Woche in einem Teambus.
Elvedi: «Die schrecklichen Nachrichten aus Dortmund schockierten mich total. Und natürlich schwirren ungemütliche Gedanken im Kopf herum, es hätte auch einen anderen Verein treffen können.»
Sommer: «Die Gefahr kommt einem plötzlich sehr nahe, ein Klub, der kaum 100 Kilometer entfernt spielt, wurde angegriffen. Zurück bleibt ein Gefühl der Ohnmacht.»
In Bremen wurde eine Woche später der Bus des HSV mit Gegenständen beworfen. Sinkt die Hemmschwelle generell?
Sommer: «Szenen wie jene in Bremen sind inakzeptabel. Aber von einer allgemeinen Verschlechterung der Situation würde ich nicht sprechen.»
Die Show ging in Dortmund nahtlos weiter – oder anders formuliert: Die sofortige Rückkehr zur vermeintlichen Normalität wurde der Mannschaft aus wirtschaftlichen Gründen verordnet. War der Champions-League-Viertelfinal 24 Stunden nach einem Angriff auf Leib und Leben unverantwortbar?
Sommer: «Ich weiss nicht, was hinter den Kulissen genau abgelaufen ist. Nur so viel: Jeder hat gesehen, dass es nicht möglich war, sich am Abend nach einem solchen schlimmen Ereignis auf das Wesentliche zu konzentrieren.»
Elvedi: «Ich glaube, im Kopf war niemand frei, das kann ich mir nicht vorstellen. Jeder Spieler hatte mit diesem Entscheid Mühe. Niemand kann so etwas innerhalb einer einzigen Nacht verarbeiten.»