#Yolo, raus mit der Beta-Version: Was am neuen Nachrichtenportal Watson auffällt

Watson ist Sherlocks Assistent, IBMs Supercomputer und seit gestern ein neues Nachrichtenportal für die Schweiz. Einige Beobachtungen zur ersten Version. 21:02, ein Tweet wie eine Erlösung. WIR SIND LIVE! http://t.co/ZpCRDj47RY — watson (@watson_news) January 22, 2014   Endlich, endlich ist dieser Hype vorbei. Der «Messias» hat seine Website online gestellt und gut is. Die Schweiz, […]

Watson ist Sherlocks Assistent, IBMs Supercomputer und seit gestern ein neues Nachrichtenportal für die Schweiz. Einige Beobachtungen zur ersten Version.

21:02, ein Tweet wie eine Erlösung.

 

Endlich, endlich ist dieser Hype vorbei. Der «Messias» hat seine Website online gestellt und gut is.

Die Schweiz, vielleicht der ganze deutschsprachige Raum, hat ein neues Nachrichtenmedium, «Watson». Das erste dieser Grösse, das nicht aus einer traditionellen Medienmarke gewachsen ist. Das erste, das im Zeitalter von mobilem Nachrichtenkonsum startet.

Für eine kritische Würdigung des neuen Mediums ist es viel zu früh. Stellt man sich Watson als Haus vor, so sehen wir nun eine provisorische Inneneinrichtung. Vieles wird sich in den kommenden Wochen und Monaten noch verschieben, schöner werden, definitiv eingerichtet werden.

Langfristig entscheidend ist aber das Fundament und der Rohbau, der in der Vorbereitung eines solchen Projekts die meiste Zeit in Anspruch nimmt. Erst mit der Zeit wird sich zeigen, ob Watson da die richtigen Entscheide getroffen hat und flexibel genug ist, die Möblierung immer mal wieder umzustellen, wenn es nötig wird.

Anstelle einer Kritik darum eine Reihe von Beobachtungen.

  • Watson zeigt Mut, in sichtbar rohem Zustand online zu gehen. «If you are not embarrassed by the first version of your product, you’ve launched too late.» (Reid Hoffmann)
     
  • Watson bricht mit den Erwartungen, die man an Nachrichtenportale hat. Kein Seitenkopf, keine Randspalten. Rubriken sind zwar vorhanden, aber von sehr untergeordneter Bedeutung. Mehr noch als bei «20 Minuten» setzt Watson-Chef Hansi Voigt bei Watson darauf, dass sich die Besucher im Angebot verlieren und am Ende etwas lesen, für das sie gar nicht gekommen waren.
     
  • Die Seite sieht auf dem Smartphone mit Abstand am besten aus. Man sieht ihr an, dass sie in erster Linie für den mobilen Konsum gestaltet ist und die Designs für Tablets und Desktop-Computer noch nicht gleich viel Aufmerksamkeit erhalten haben.
     
  • Auf grossem Bildschirm sieht Watson ziemlich aufgeblasen aus. Bilder gross, Titel gross, Hauptsache gross.
     
  • Thematisch hat Voigt in seinem Begrüssungs-Text die Bandbreite abgesteckt: «…feste Rubriken wie zum Beispiel Wirtschaft, Digital oder Yolo». Die Bandbreite überrascht nicht; interessant wird sein, was wie stark gewichtet wird. Und wie sehr man in die Extreme gehen wird (exemplarisch dafür Buzzfeed, das trashigste Listen und brillant geschriebene Investigativrecherchen unter seiner Marke publiziert).
     
  • Vorerst bietet Watson seinen Besuchern keine Möglichkeit an, Inhalte zu personalisieren oder gezielt zu abonnieren. In diesem Punkt steht Watson da, wo fast alle anderen Nachrichtenseiten auch stehen: am Anfang.
     
  • Watson will eingeloggte Nutzer. Sie sind Stammleser, ihnen kann man Inhalte personalisiert servieren, mit ihnen lässt sich gezielter Werbung verkaufen. Der Login-Knopf in Form des Watson W ist fix am unteren Bildschirmrand und bietet dem eingeloggten Nutzer jederzeit Zugriff auf sein Profil und die Möglichkeit, Inputs an die Redaktion zu schicken.
     
  • Bauchpinsel-Statistiken (Anzahl gelesene Artikel, Anzahl gelikete Kommentare) belohnen eingeloggte Nutzer und deuten darauf hin, dass Gamification bei Watson ein wichtiges Element werden wird.
     
  • Stichwort Werbung, über die das ganze Portal finanziert werden soll: Bisher sichtbar sind grosse Werbeflächen auch direkt in Artikel eingebunden. Nicht sichtbar sind zahlreiche Möglichkeiten für Werbekunden, Nutzer gezielt etwa nach Themen oder geografischem Ort anzusprechen (das entsprechende PDF ist aktuell nicht mehr auffindbar, Dr. Watson bitte helfen!).
  • Punkto Leserkommentare und Leserinputs geht Watson den konventionellen Weg. Kommentare unter den Geschichten, Jekami. Spannend zu beobachten wird sein, was es ausmacht, dass man auch mit Bildern und YouTube-Videos kommentieren kann.
     
  • Watson hat den bestmöglichen Kooperationspartner an Land gezogen. «Spiegel Online» hat Glaubwürdigkeit, redaktionelle Ressourcen wie kaum ein anderes deutschsprachiges Medium und wird Watson mit Inhalten versorgen, die es von anderen Schweizer Medien abheben kann.
     
  • Die Artikelseiten von Watson sind flexibler als bei den meisten anderen Nachrichtenseiten. Wie flexibel, bewies Watson mit seiner ersten Aufmachergeschichte, die komplett überladen war. Sie zeigt aber, dass Watson die Voraussetzung hat, Geschichten so zu erzählen, wie es der Inhalt verlangt und nicht so, wie es das technische Korsett zulässt.
     
  • Watson hat keine Angst davor, seine Leser zur Konkurrenz wegzuschicken, oder zumindest: nur ein bisschen. Artikel von anderen Medien werden prominent verlinkt, bevor der Nutzer aber weg von Watson kommt, wird ihm eine Zusammenfassung des verlinkten Artikels gezeigt.
     
  • Damit wir den Buzzfeed-Vergleich nicht auslassen müssen (wobei es eigentlich ein SB-Nation-Vergleich ist, aber über das schimpft ja hierzulande nie jemand): Sporthighlights schreien geradezu danach, in Gifs abgebildet zu werden. Watson macht das genau richtig.
     
  • An den Funktionen, die schon ausgereift sind, erkannt man, was Watson wichtig ist. Schon jetzt ist klar: Liveticker wird man bei Watson häufig sehen.
     
  • Und schliesslich, für Anhänger grosser Symbolik: Watson wurde exakt an dem Tag lanciert, als NYTimes.com seinen 18. Geburtstag feierte.

Wir werden Watson gespannt verfolgen. Mit der nun veröffentlichten Beta-Version zeigen die Macher, dass sie willens und in der Lage sind, unsere Medienlandschaft ordentlich durchzuwirbeln. Bleibt fürs Erste eigentlich nur eine Frage: Wie spricht man das Ding denn nun aus?

Update: Die Frage nach der Aussprache ist geklärt.

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