Zahlenwirrwarr um Ecopop – haben Sie noch den Durchblick?

Der Abstimmungskampf um Ecopop ist auch ein Kampf um Zahlen. Befürworter und Gegner operieren dabei mit Tricks. Eine Annäherung an die Fakten.

Beide Seite operieren mit den Zahlen, wie es ihnen gerade passt – die Wahrheit bleibt dabei häufig auf der Strecke. (Bild: Nils Fisch)

Der Abstimmungskampf um Ecopop ist auch ein Kampf um die Zahlen. Befürworter und Gegner operieren dabei mit Tricks. Eine Annäherung an die Fakten.

Trickserei bei der «Zubetonierung»

«Jede Sekunde verschwindet in der Schweiz ein Quadratmeter Boden unter Beton oder Asphalt», schreiben die Ecopop-Initianten auf ihrer Webseite. Die Zahlen des Bundesamts für Statistik (BfS) relativieren diese Behauptung. Nur 0,69 Quadratmeter werden zu Siedlungsfläche verbaut, was Häuser, Strassen und andere Bedarfsflächen beinhaltet.

Das Erstaunliche daran: Die restlichen 0,34 Quadratmeter werden nicht «zubetoniert», sondern werden zu Wald oder Gehölz – es sind grösstenteils Landwirtschaftsflächen, die aufgegeben wurden.

Von den 0,69 Quadratmetern, die jede Sekunde zu Siedlungsflächen umfunktioniert werden, sind nur 0,26 Quadratmeter für Gebäude oder Verkehrsflächen verantwortlich. Die übrigen 0,44 Quadratmeter sind Grünflächen, zum Beispiel Erholungsgebiete, Schrebergärten, Sport- oder Golfplätze.

Von einem Quadratmeter, bleiben also 0,26 Quadratmeter, die pro Sekunde zu Beton oder Asphalt werden – ein Viertel von dem, was die Initianten behaupten.

Brutto-Netto-Chaos

Die Forderung der Ecopop-Initianten ist folgendermassen formuliert: Die ständige Wohnbevölkerung dürfe infolge Zuwanderung nicht mehr als um 0,2 Prozent pro Jahr wachsen. Bei rund acht Millionen Menschen, die in der Schweiz wohnen, sind das 16’000 Zuwanderer. So weit, so klar.

Die strittige Frage ist jedoch, ob diejenigen Menschen, die aus der Schweiz auswandern, ersetzt werden können. Die Initianten sagen: Ja. Massgebend für die Umwelt sei nämlich die Zahl der Netto-Zuwanderung, also die Zahl der Zugewanderten minus die der Ausgewanderten. Wenn einige Menschen auswandern, könnten auch einige wieder einwandern – die Umwelt leide dadurch nicht. Die Initianten plädieren demnach für eine höhere Zahl als 16’000 – nämlich 16’000 plus die Zahl aller Ausgewanderten.

 

Zwischen Mai 2013 und April 2014 wanderten insgesamt 151’852 Personen in die Schweiz ein. Im gleichen Zeitraum verliessen 68’950 Personen das Land wieder. Die Nettozuwanderung lag also bei 82’902 Personen.

In der «Arena» argumentierten die Initiativ-Gegner: Für die Berechnung der Zuwanderungsgrenze sei die Brutto-Zuwanderung massgebend, die Zahl der Auswanderer dürfe nicht addiert werden – also nur 16’000 Einwanderer pro Jahr und nicht mehr.

Es hängt also letztlich von der Interpretation der Vorlage ab. Nach einer möglichen Annahme von Ecopop würde der Streit fortgesetzt, bis ein passendes Gesetz ausgearbeitet wäre.

Bevölkerungswachstum und Siedlungsfläche – was sind die Fakten?

Die Initianten sagen, das Wachstum der Siedlungsfläche habe immer mehr mit dem Bevölkerungswachstum zu tun: Von 1965-1982 sei das Bevölkerungswachstum zu 18 Prozent beteiligt gewesen, 1982-1994 zu 72 Prozent und 1994-2004 zu 77 Prozent. Stimmt das?

Dass der Bedarf an Wohnflächen steigt und damit auch die Siedlungsflächen wachsen, wenn mehr Menschen in der Schweiz leben, ist eine einfache Rechnung, die kaum jemand bestreitet. Wie stark der Einfluss der Zuwanderer ist, das ist jedoch unklar. Das Bundesamt für Statistik kann eine direkte Korrelation nicht bestätigen. Gegner der Initiative finden, es sei eine unzulässige «Milchbüechlirechnung».

Die Zahl der Initianten kann weder bestätigt noch eindeutig widerlegt werden.

Zahlensalat bei der NZZ

Ausgerechnet in einem Faktencheck – unter dem Titel «Zahlensalat» – unterlief der NZZ ein Fehler mit den Zahlen. Die Zeitung schrieb, das Bevölkerungswachstum würde «auf 0,2 Prozent der Bevölkerung pro Jahr beschränkt». Die Bevölkerung dürfe jährlich nur um 16’000 Menschen wachsen.

Vergessen ging dabei, dass die Bevölkerung in der Schweiz nicht nur durch Zuwanderung, sondern auch durch einen Geburtenüberschuss wächst. Die 0,2 Prozent beziehen sich jedoch nur auf die Zuwanderung.

Die Initianten antworteten mit Genugtuung in einer Gegendarstellung.

Die Tücken der Demografie

Peter Spuhler (ehemaliger SVP-Nationalrat) meinte in der «Arena», die Initianten hätten in ihren Rechnungen den demografischen Wandel ausgeklammert. Er nannte dafür ein Beispiel: Jedes Jahr gehen 137’000 Menschen in Rente, in derselben Zeit würden nur 82’000 Menschen in den Arbeitsmarkt integriert. Das heisst: Die Wirtschaft ist auf zirka 55’000 Zuwanderer angewiesen.

Wenn nach Annahme der Initiative nur noch 16’000 Menschen jährlich in die Schweiz einwandern, fehlten etwa 39’000 Personen für die offenen Arbeitsplätze. Die Wirtschaft würde demnach schrumpfen.

Richtig oder falsch?

Im Jahr 2013 gingen 137’500 Personen in Rente. Unklar ist jedoch, wie viele davon vorher zu welchen Stellenprozenten im Arbeitsmarkt beschäftigt waren. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Wirtschaft auf weniger als auf 55’000 Zuwanderer angewiesen ist.

Die Initianten konterten, es seien nach ihrer Rechnung eben mehr als 16’000 Zuwanderer, die pro Jahr in die Schweiz dürften – für die Wirtschaft blieben somit mehr als genug Arbeitskräfte.

Auch an diesem Beispiel zeigt sich: Beide Seiten operieren mit den Zahlen, wie es ihnen gerade passt – die Klarheit bleibt auf der Strecke.

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