Obwohl sie sich für eine konsequente Erfassung der Arbeitszeit einsetzen, haben die Gewerkschaften Hand geboten zu einer Lockerung der Vorschriften. Für sie ging es darum, einen «völligen Dammbruch» zu verhindern. Nun fordern sie strengere Kontrollen.
Es ist das vorläufige Ende eines jahrelangen Streits: Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann konnte am Sonntag einen Kompromiss vermelden. Bei Arbeitnehmenden mit einem Lohn von über 120’000 Franken sowie solchen, die ihre Arbeitszeit grösstenteils selbst festlegen können, soll die Erfassungspflicht gelockert werden.
Als der Bund Ende 2012 vorschlug, Arbeitnehmende mit einem Lohn von über 175’000 Franken von der Arbeitszeiterfassung auszunehmen, wehrten sich die Gewerkschaften noch vehement. Nun akzeptieren die Dachverbände einen Lösungsvorschlag, der die Schwelle noch tiefer setzt.
«Wir sind unglücklich mit der Lohngrenze», sagt denn auch Pepo Hofstetter von der Gewerkschaft Unia. Und auch für den Präsidenten der Gewerkschaft Syna, Arno Kerst, ist die Grenze zu tief angesetzt. Die Gewerkschaften hätten die Grenze bei 148’000 Franken ziehen wollen, so Hofstetter.
Druck aus dem Parlament
Der Grund, warum sowohl Hofstetter als auch Kerst den Vermittlungsvorschlag als «akzeptabel» bezeichnen, liegt in den zusätzlichen Bedingungen, die für einen Verzicht auf die Arbeitszeiterfassung erfüllt sein müssen. So müssen die Ausnahmen in einem Gesamtarbeitsvertrag (GAV) geregelt werden, der auch Massnahmen für den Gesundheitsschutz enthält.
Die Gewerkschaften standen zudem unter wachsendem Druck von Seiten des Parlaments. Vorstösse aus den Reihen der SVP und der CVP verlangen, dass sich ganze Branchen von der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung befreien lassen können. Eine der beiden Motionen stand am Montag auf der Traktandenliste der ständerätlichen Wirtschaftskommission.
Der Vorschlag von Schneider-Ammann sei zwar nicht die «Wunschlösung», aber besser als die Vorstösse aus dem Parlament, sagt Hofstetter. Der Gewerkschaftsbund (SGB) schreibt in einer Mitteilung mit Verweis auf die hängigen Motionen, mit der neuen Regelung habe «Schlimmeres verhindert werden können». Er gehe davon aus, «dass die Parlamentarier zur Kenntnis nehmen, dass es eine Lösung gibt», sagt Kerst.
Regeln müssen durchgesetzt werden
Die Gewerkschaften sehen nach ihrem Entgegenkommen nun die Behörden in der Pflicht. «Bislang hatten wir zwar strenge Regeln, ihre Einhaltung wurde aber zu wenig kontrolliert», sagt Hofstetter. Eine Studie des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) kam 2012 zum Schluss, dass jeder Sechste Arbeitnehmende bei einem Betrieb arbeite, der bei der Zeiterfassung zumindest teilweise gegen das Arbeitsgesetz verstosse.
Von der Erfassung der Arbeitszeit wären nach den heute geltenden Vorschriften nur Topmanager ausgenommen. Anfang 2014 trat zudem eine Übergangsregelung in Kraft, nach der unter anderem auch für vollamtliche Projektleiter eine vereinfachte Arbeitszeiterfassung gilt.
Die Zahl der Arbeitnehmenden, die mit der neuen Regelung nicht mehr unter die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung fallen würden, konnte das Wirtschaftsdepartement nicht beziffern. Gemäss den aktuellsten verfügbaren Zahlen des Bundesamts für Statistik verdienten im Jahr 2010 rund 10 Prozent der Erwerbstätigen 120’000 Franken oder mehr – erfasst wurde aber der Nettolohn.