«Joe» – Nicolas Cage als Fels in der Brandung. Eine poetische und narrative Herausforderung. Sehen wollen wir das alles nicht. Aber wegschauen tun wir sonst schon oft genug.
Für diesen Film standen einige grosse Dramatiker Nordamerikas Pate. Allen voran Tennessee Williams. Der Südstaatenschweiss seiner Stücke liegt wie eine Firnis über dem Film «Joe». David Gordon Green erzählt darin in der Tradition der amerikanischen Realisten die Zurichtung eines jungen Mannes. Eine poetisch narrative Herausforderung an die neuen Zyniker des US-Films. Sehen wollen wir das alles nicht. Aber wegschauen tun wir sonst schon oft genug.
Es führt nur ein Gleis weg von diesem Fleck Erde. Tye Kayle Sheridan als Gary ist stark genug, um einen Nachbarn zu verprügeln, aber zu schwach, um Mutter und Schwester gegen seinen Vater zu verteidigen. Wäre da nicht Joe, Gary würde zerbrechen. Doch Joe ist sein Strohhalm in dieser erbarmungslosen Welt der Stärkeren, wo kein Argument einen Faustschlag oder eine Bleikugel schlägt.
Den letzten Beissen die Hunde
Gary ist chancenlos. Sein Vater ist Alkoholiker. Seine Mutter wehrlos. Seine Schwester spricht seit sie drei war kein Wort mehr. Doch da kreuzen sich die Wege von Joe und Gary. Im Wald. Dort ist Joe damit beschäftigt, mit seiner Truppe von Randexistenzen schwache Bäume zu vergiften, damit sie gefällt werden können und stärkeren Platz machen.
Joe ist einer, der schon auch mal eine Giftschlange beim Kiefer packt und lahmlegt. Er ist einer, der seine Hündin so liebt, dass er sie auch mal einen anderen Hund töten lässt. Joe ist, wie Gary, einer, der nicht viel redet.
Joe stellt Gary in seiner Truppe ein. Doch damit bringt er das Gleichgewicht der Gewalt, das in Garys Familie herrscht, aus der Balance: Ab jetzt nehmen die fatalen Ereignisse ihren Lauf, an deren Ende viel Blut, Schweiss und Tränen im trockenen Waldboden versickern werden.
Die Sprachbildergewalt der Dramatiker von einst in Bildern von heute
Es ist ein Film, der die epische Breite nutzt, und sie in blutige Bilder umsetzt: Da wird im Haus ein Hirsch gehäutet, und ein Schmetterlingssteak aus seinem Fleisch geschnitten. Das geschieht fast eben so selbstverständlich, wie Joe eine Kugel aus dem eigenen Fleisch operiert.
Es liegt, trotz aller Rohheit der Gefühle und Wucht der Körper eine Verwundbarkeit in den Handlungen dieser harten Kerle. «Joe» ist von Beginn weg eine trostlose Ballade: Wir sind bald einmal, wie die Figuren im Film, eingelullt von der Langeweile und der Einöde, und gleichzeitig bis auf die Folter gespannt darauf, wann wohl der nächste Ausbruch der Gewalt über uns hereinbrechen wird:
Zum Wegschauen gibt es da viel
Am abstossendsten spielt dieser Realismus mit unseren Nerven, wenn Garys Vater, ein alter Säufer, einem Unbekannten für eine Flasche Alkohol den Schädel einschlägt. Jetzt fangen die Metaphern die Bilder einzuholen: Trotz hartem Überlebenskampf, überstehen nicht alle starken Bäume den Kahlschlag im Wald. Zum Schluss von «Joe» hat Gary einen Freund verloren und eine Schule für das Leben erhalten. Für ihn wird ein Leben lang in jedem Klicken des Feuerzeuges der Tipp von Joe erhalten bleiben, wie eine Frau zu beeindrucken sei. Uns auch.