ZFF: Tore tanzt – ein Passionsspiel

Gewarnt werden wir nicht, dass wir die Ekelgrenze derart überschreiten weren: «Tore Tanzt» ist ein Film, der viel abverlangt. Die Chronik eines Horrors Der mit Abstand forderndste Film des diesjährigen Festivals in Zürich: «Tore Tanzt». Wären wir gewarnt worden, wir wären nicht so ungeschützt in diesen Horrorfilm geraten. Denn um einen solchen handelt es sich […]

Tore tanzt

Gewarnt werden wir nicht, dass wir die Ekelgrenze derart überschreiten weren: «Tore Tanzt» ist ein Film, der viel abverlangt.

Die Chronik eines Horrors

Der mit Abstand forderndste Film des diesjährigen Festivals in Zürich: «Tore Tanzt». Wären wir gewarnt worden, wir wären nicht so ungeschützt in diesen Horrorfilm geraten. Denn um einen solchen handelt es sich bei diesem einer wahren Begebenheit nachempfundenen Geschichte: Was da schockiert ist die Chronik einer Horrortat. Erst einmal verzichtet der Film aber darauf, sich als solche erkennen zu geben.

Alles fängt mit einer Autopanne an. Tore, ein jugendlicher Christ, betet für einen sitzengebliebenen Autofahren, dass der Motor wieder anspringen möge. Jesus scheint Einsicht mit der Karre zu haben. Der Glaube versetzt tatsächlich Berge. Das Auto springt wieder an. Der Fahrer Benno ist beeindruckt. Wer wäre das nicht? Zumindest haben ihn die Jünger des grossen Mechanikers im Himmel als Neugierigen gewonnen.

Eine teuflische Glaubenaustreibung

Es erstaunt also nicht, dass zwischen dem bärbeissigen Täter Benno (Sascha Alexander Gersak spielt eine unfassbares Ungeheuer so zart, krud und verkorkst) und dem jungen, gläubigen Tore eine innige Beziehung entsteht. Dass sie damit endet, dass der jugendliche Christ zu Tode gebracht wird, ahnen wir nicht. Dass es aber ein Opfer geben muss, davon müssen wir aber bald ausgehen. Nachdem wir erst einmal gesehen haben, dass einer im Jesus-Kult getauft wird, müssen wir auch auf ein blutiges Opfer warten: Immerhin wurde ja auch Jesus nicht ans Kreuz gestreichelt.

Tatsächlich folgen wir ohne Argwohn in die Anatomie dieses Opfers. Die Regisseurin Katrin Gebbe schafft uns nie Gewissheit, was nun geschehen wird: Sie führt uns ahnungslos mitten in einen sexuellen Übergriff. Es ist einer der gewalttätigsten Filme, die ich in letzter Zeit gesehen habe: Weil er Gewalt eigentlich gar nicht zeigt, sondern uns in sie hineinlullt, gekonnt jede Ekelgrenze reizt, jene Grenzen, die eben nur Opfer kennen. Die halten es länger aus als wir, hinschauen wollen, selbst, wenn alles längst zum Kotzen ist.

In der Tiefe ist alles Nichtigkeit

Wäre da nicht die glaubwürdige Darstellung der Figuren, wäre nicht die sorgfältig gestaltete Kameraarbeit von Moritz Schultheiss, wir fänden kaum einen Anhaltspunkt, der uns über das Ungeheuerliche tröstete, das wir da gerade bezeugen, oder besser erdulden müssen. Denn das macht «Tore Tanzt» zu einer gewalttätigen Erfahrung: Er lässt uns ungeschützt, als Opfer, jeden Schritt in der subtilen Spirale der Gewalt nachvollziehen, ohne eine narrative Warnung:

Nichts in der Dramaturgie weist darauf hin, dass das so schrecklich endet. Gut und gläubig tappen wir in die Falle. Erlösen können wir uns nur selbst. Das eben macht Film aus: Dass er uns Erfahrungen erlaubt, die wir eigentlich gar nicht machen möchten. «Tore Tanzt» ist ein Film, den man nicht ohne anschliessendes Gespräch abhaken kann.

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