Der diesjährige Bildrausch-Gewinner kehrt mit seinen Bilderbogen nach Basel zurück: Der Chilene Alejandro Jodorowsky sorgt für surreale Zirkus-Atmosphäre im Stadtkino.
Hätte John Lennon Filme gemacht, sie hätten vielleicht so ausgesehen wie seine: Dieses Jahr hat er in Basel den Bildrausch-Ring erhalten, für einen Film, der in Cannes Furore machte. Jetzt kann man von Alejandro Jodorowsky mehr sehen. Die Filme der Kult-Figur der 70er-Szene waren Geheimtipps, die jeder kannte, aber niemand im normalen Kino sehen wollte: Jetzt bringt das Stadtkino eine ganze Reihe von ihm und mit ihm.
Jorodowsky ist eigentlich ein Maler. Wie Dali oder Chagall sucht er in seinen Bildern die Sprache der Symbole. Er ist eigentlich ein Schriftsteller. Wie Achternbusch nutzt er den Film, um seine Sprachbilder zu den Menschen zu bringen. Er ist eigentlich Fotograf. Er dreht mit jeder Kamera-Einstellung ein Stück Film, das auch als Fotografie stehen könnte. Er ist ausserdem ein Zirkus-Direktor: Wie Fellini ist er der Kern einer grossen Familie, die das Circensische mag. Eigentlich ist er ein Heiler. Seine Menschen sind Sonderlinge, Out-Laws, meist Einsame, die zwischen Himmel und Erde nach Erlösung suchen. Eigentlich ist er aber ein Filou, bei dem man nie weiss, was er wirklich ist. Film-Regisseur, Schauspieler, Dichter oder Heilsbringer.
Eine ganze Reihe seiner Frühwerke im Stadtkino
Wenn in seinem Western («El Topo», der auch in Basel zu sehen sein wird) ein Revolver-Duell stattfindet, dann treten nicht wie üblich zwei Männer einander mit baumelnden Armen und O-Beinen gegenüber. Alejandro Jodorowsky tritt gleich selber an, gegen ein Trio, das den idealen Eremiten darstellt: Ein Mann ohne Arme, ein Mann ohne Beine und ein Mann ohne Augen. Alle schiesst er mit Hilde, seiner Geliebten, nieder. Das ist absurd, tiefsinnig und frech zugleich.
El Topo ist eines der frühen Werke von Jodorowsky
Auch in «The Dance of Reality», seinem letzten Film, hat Alejandro Jodorowsky sich seinen circensischem Furor erhalten. Jodorovsky überzeugte damit bereits beim diesjährigen «Bildrausch»-Festival. Mit seinem surrealen Familien-Universum wird er nun auch im Stadtkino zu Gast sein. In «The Dance of Reality» erzählt er noch einmal die Geschichten seiner Kindheit – und findet in ihnen die Geschichte der Welt:
Der gestrenge Vater, der seinem Kind beim Kitzeln das Lachen verbietet und beim Zahnarzt den Verzicht auf Anästhesie befiehlt, wird zu einem Stalinist. Die Mutter, die im Kind pathetisch den Vater vergöttert, wird zur Operndiva, die auf das Kind einsingt, anstatt mit ihm zu reden.
Die ganze Jodorowsky-Familien-Saga wird zum narrativen Weltbild: Wie in einem gigantischen Zirkusunternehmen kombiniert Jodorowsky seine surreale Bilderflut mit genialer Musik (von Adan Jodorowsky), präsentiert seine Episoden mit überdrehtem Spiel (Brontis Jodorowsky spielt den Vater) und verblüfft mit der Liebe zum improvisierten Detail, wie sie nur Fellini kennt. Ein surreales Meisterwerk für alle Sinne.
Es ist eine Gemeinschaftsproduktion der ganzen Familie Jodorowsky. Alejandro Jodorowsky hat sich für seine Epsioden-Sammlung nicht nur selber die literarische Vorlage geliefert, sondern auch einen Teil des Personal selbst gezeugt. Ein Sohn spielt mit (den sie auch in «El Topo» als Kind sehen können). Sein Bruder Adan besorgte die Musik, und spielte damit gewissermassen die andere Hauptrolle: Was wir sehen ist eine üppig bebilderte surreale Familien-Oper, die das Universum in einer Welt der Gaukler, Hasardeure und Traumtänzer präsentiert.
Geschichtenerzähler als Teil der Geschichte
Jodorowsky vergröbert seine Familiengeschichte zu einer Geschichte von Chile, welches mitten in der Weltgeschichte wiederum zu jenem geschichtlichen Hintergrund wird, der das Schicksal der ukrainischen Familie ausmacht: Als Juden verfolgt, als Kommunisten gefoltert, als Heilssucher verlacht.
Die Zusammenfassung eines Lebens in La Danza de la Realidad
Mit dem Humor eines anderen ukrainischen Literaten (Isaak Babel) und Phantasten schildert Jodorowsky seine Erinnerungen als Muster einer allgemeinen Geschichtsauffassung: «Fiction», sagt Brontis Jodorowsky, als er zuletzt in Basel war, «ist eine produktive Form sich zu erinnern. Erinnerung macht erst die Fiktion produktiv. Sie verdichtet unsere Vergangenheit in Bilder. Film ist genau das: Ich erinnere mich. Ich richte die Kamera in meine Vergangenheit. Das heisst, ich lasse alles weg, was nicht vor der Linse geschieht. Das ist das tiefste Wesen des Films.»
Fellini hätte sein «Amarcord» wohl ähnlich kommentieren können. «Kino muss dieselbe Kraft haben wie LSD. Es muss ins Unbewusste dringen und einen spirituellen Schock hervorrufen», fordert Alejandro Jodorowsky selbst.