Es müssen nicht immer die Beatles sein: John Lennon war auch als Solo-Künstler durchaus hörenswert. Sieben Würdigungen zu seinem 75. Geburtstag.
Vor 75 Jahren, am 9. Oktober 1940, wurde er geboren, vor 35 Jahren starb er. Erschossen von einem durchgedrehten Fan. Hinterlassen hat John Lennon in erster Linie die epochale Leistung als Beatle. Sein Solowerk, das in den letzten Jahren der Beatles begann und für das ihm nach der Auflösung 1970 noch zehn Jahre bleiben sollten, rückt dagegen stets etwas in den Hintergrund. Wir würdigen es mit sieben Auszügen.
1. «Imagine»
Was gibt’s zu der Friedenshymne «Imagine» noch zu sagen, was nicht gesagt ist? Vielleicht das Neuste: an der diesjährigen UN-Generalversammlung sang Shakira das Lied anlässlich der Plenarseröffnung, begleitet mit den Worten: «Wir leben in einer Welt, in der viele arm geboren und arm sterben werden. Unsere Kinder haben das Recht, glücklich, sicher und gleichberechtigt zu leben. Jetzt ist die Zeit, nicht nur zu träumen, sondern zu handeln.» Und während ihrer letzen Worte erklangen bereits die sanften Pianoakkorde, die John Lennon damals spielte, 1971, als der «Summer Of Love» noch Hoffnung verströmte. Im Theater der guten Absichten ist «Imagine» der stets wiederkehrende Soundtrack geworden – oft gespielt, oft gehört. Vielleicht zu oft.
John Lennon war derjenige Beatle, der am häufigsten seine Songs als Vehikel für politische, gesellschaftliche oder sonstwie engagierte Botschaften benutzte. Und er tat das schon, als die Beatles zumindest offiziell noch Bestand hatten. Am 1. Juni 1969, während der Flitterwochen mit Yoko Ono, die als «Bed In»-Kampagne für den Weltfrieden und zur eigenen Unterhaltung inszeniert wurden, sang er auf einem billigen Aufnahmegerät ein kleines Lied ein, dessen Zeilen ihm in diesen Wochen durch den Kopf ging – und die Gäste in seinem Zimmer – Allan Ginsberg, Timothey Leary und eine Gruppe Hare Krishna-Anhänger – sang jeweils den Refrain mit. «Give Peace A Chance» erschien 1970, und diesen Imperativ hielt Lennon seine letzten zehn Jahre aufrecht.
2. «Working Class Hero»
John Lennon mochte Bob Dylan. Das war schon während der Beatles-Jahre kein Geheimnis. Und er mochte es, wie der amerikanische Barde durch seine Songs zu den Leuten sprach. «Working Class Hero» ist textlich so angriffig wie kaum ein anderes Lied Lennons, musikalisch folgt es Dylans Antikriegshymne «Masters Of War». Anders als Dylans Song wirkt der Titel «Working Class Hero» heute seltsam aus der Zeit gefallen – Appelle an die Arbeiterklasse werden heute, trotz andauernder sozialer Missstände, selten formuliert. Der klassenkämpferische Geist, mit dem Lennon seine Klage eröffnet, hallt jedoch in der Gegenwart von Bewegungen wie Occupy und Podemos weiter nach: «As soon as you’re born they make you feel small.»
3. «Instant Karma»
«Come over quick, I’ve written a monster», soll Lennon im September 1969 Phil Spector am Telefon gesagt haben. Und Phil Spector, die Produzentenikone, kam rüber in die Abbey Road Studios in London und nahm für Lennon innert weniger Stunden «Instant Karma» auf, das eine seiner erfolgreichsten Singles werden sollte. «Play Loud» stand auf der Hülle, als die Single veröffentlicht wurde, und der Rat war wohlmeinend. So viel Kraft wie Spector, der die «Wall Of Sound» als Maxime in den Tonstudios etablierte, in diesen Song hineinmischte, hörte man selbst bei den härtesten Beatles-Nummern nie. «Instant Karma», instant hit – nicht jede von Lennons Kompositionen hat die Zeit so gut überdauert.
4. «God»
Ein Satz, der hängen bleibt: «God is a concept by which we measure our pain», singt Lennon in seiner Absage an organisierte Religion und überhaupt an jede Form von Idolatrie, von der er auch die Verehrung seiner selbst nicht ausnimmt: «I don’t believe in the Beatles», heisst es am Ende einer allumfassenden atheistischen Eloge, und: «I was the Walrus, but now I’m John». Lennon machte sich in diesem Lied frei von der Überladung, die sein Leben und seine Karriere begleitet hatte. Von der spirituellen Explosion der Sixties, der er sich so freimütig hingegeben hatte, aber auch von der Last der Beatles. «The dream is over / and so dear fans, you just have to carry on», singt er in den letzten Zeilen. Ironischerweise hat er gerade diesen Song so Beatles-nahe eingespielt wie kaum einen anderen: den Bass spielte der langjährige Bandfreund Klaus Voormann, am Piano sass Billy Preston, der auf «Let It Be» und «Abbey Road», die letzten beiden Alben der Beatles, bereits zu hören war. Und Ringo spielte Schlagzeug.
5. «(Just Like) Starting Over»
Ausgerechnet dieser Song war die letzte Single, die noch zu Lebzeiten Lennons erschien, am 24. Oktober 1980 als Preview zum folgenden Album «Double Fantasy». Die Platte war als Comeback Lennons nach einer fünfjährigen Klausur gedacht, in der er musikalisch kaum von sich hören liess. Lennon wollte für «Starting Over» den Sound der Fünfziger wiederauferstehen lassen – den Rock’n’Roll, mit dem er selbst gross geworden war. Kein Wunder erinnert seine Stimme hier verblüffend an Elvis. Der Titel «Starting Over» mag auf das musikalische Comeback hindeuten. Es war jedoch vielmehr ein Lobgesang auf seine Liebe zu Yoko Ono, die trotz zehn Jahre Höhen und Tiefen weiter glühte: «We have grown, we have grown / although our love is still special».
6. «Woman»
Apropos Frauen: Yoko war keineswegs die einzige wichtige Frau in Lennons Leben. Er liebte sie alle. Angefangen bei seiner Mutter, die er früh durch einen Unfall verlor. Und weil er ihnen trotz all der Anbetung immer wieder auch Leid zugefügt hatte, schrieb er dieses rührend säuselnde und sehr Beatles-stimmige Liebeslied: «Woman I know you understand / The little child inside the man».
Lennon sah in den Frauen nicht nur Geliebte und Ersatzmütter, sondern erkannte, beeinflusst von Yokos Feminismus, die andauernde Diskriminierung der Frau durch das Patriarchat. Und widmete ihnen gemäss Selbsteinschätzung 1972 den «ersten Song der Frauenbewegung». So einprägsam durch die Leitmelodie von Saxofonist Stan Bronstein «Woman Is The Nigger Of The World» auch war, ein Hit an den Radios wurde dieser engagierte Song nicht. Über die Gründe darf man rätseln.
7. «Whatever Gets You Through The Night»
Als Abschluss ein fröhlicher, unbeschwerter Gassenhauer, der nichts zu tun hat mit Krieg und Frieden, mit dem komplizierten Verhältnis zu den Frauen oder dem noch komplizierterem zu den Beatles. Der nicht die Zeiten überdauern sollte, weil er Themen schultert, die in der Regel zu gross sind für einen dreiminütigen Popsong. Sondern ein Song, der kaum mehr als einen zentralen Hook hat (und Elton John am Piano), und der von nichts anderem handelt als der Zuversicht, dass die Dinge schon gut kommen, wenn man ihnen freien Lauf lässt. So wars auch mit dieser fröhlich hingeratterten Nummer – für Lennon kaum mehr als eine flotte Fingerübung, aber seine Plattenfirma erkannte 1974 das Potenzial und veröffentlichte «Whatever Gets You Through The Night» als Single.